Erst Snowden, dann das Handy der Kanzlerin, nun US-Spitzel in Berlin – die transatlantischen Beziehungen sind in einer schweren Vertrauenskrise. Die Bundesregierung hat dem obersten Repräsentanten der US-Geheimdienste in Deutschland die Ausreise nahegelegt, ein zwischen partnerschaftlich verbundenen Nationen ungewöhnlicher, deutlicher diplomatischer Akt. Präsident Obama muss jetzt handeln!
Die Frustration der Deutschen wegen erneuter Meldungen über Spionage- und NSA-Affären steigt zunehmend, doch das Weiße Haus schweigt weiter. Erstmals reagieren nun demokratische und republikanische Kongressabgeordnete öffentlich. Der demokratische Senator und Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses Robert Menendez stellt erstmals im US-Fernsehen dar, wie stark das Vorgehen der US-Geheimdienste die deutsche Öffentlichkeit und Politik verärgern. Seine Kollegin Dianne Feinstein, Vorsitzende des Geheimdienstausschusses im US-Senat, ist “zutiefst besorgt”. Der Republikaner Jim Risch fordert Präsident Obama auf, sich endlich “substanzieller einzubringen”, die Situation fange an, außer Kontrolle zu geraten. Auch der demokratische Senator Tim Kaine, Mitglied im Ausschuss für Auswärtige Beziehungen, fordert Obama zum Handeln auf, denn die Beziehung zu Deutschland sei “zu wichtig”, um sie mit einer Spionageaffäre zu beschädigen.
Damit rückt der Präsident ins Zentrum des Geschehens, gerät unter Druck. Bereits Anfang der Woche hatte ein Bericht der New York Times (NYT) Kopfschütteln verursacht, in dem berichtet wurde, dass Präsident Obama offensichtlich nichts von der Festnahme eines US-Spions in Deutschland gewusst habe, als er mit der Kanzlerin in der vergangenen Woche telefonierte. Die NYT hinterfragt das Mandat der CIA in Deutschland und die Rolle des Weißen Hauses in dieser Angelegenheit.
Beliebte Regel der amerikanischen Politik: “Verschwende keine Krise”
Die amerikanischen Sonntagsreden, die Deutschland als den wichtigsten und bedeutensten Partner der USA beschreiben, erscheinen zunehmend fragwürdig, wenn dieser Partner bei den amerikanischen Geheimdiensten wie ein feindliches Operationsgebiet behandelt wird. Vielleicht wird jetzt auch den Amerikanern deutlich, wie wichtig Vertrauen für die transatlantische Zusammenarbeit in wichtigen globalen Politikfeldern ist. Gerade dieses Vertrauen ist essentiell bei der Kooperation in der Ukraine-Krise, den Verhandlungen um das Iranische Nuklearprogramm und im Nahostkonflikt.
Die Verhandlungen über ein transatlantisches Freihandels- und Investitionsabkommen nun auf Eis zu legen, wie es teilweise auf deutscher Seite gefordert wird, wäre ein Fehler. Ein Verhandlungsstopp würde den Gegnern des Abkommens in die Hände spielen und könnte das Aus für dieses wichtige transatlantische Projekt bedeuten. Neben den wirtschaftlichen Vorteilen bietet das TTIP nämlich die Chance, den transatlantischen Wertedialog zu erneuern. Eine beliebte Regel in der amerikanischen Politik lautet “Verschwende keine Krise”. Daran sollten sich die Deutschen in diesem Moment halten und sich nicht beleidigt zurückzuziehen, sondern entschieden dieses Problem angehen. Denn dafür sind die transatlantischen Beziehungen auch für uns Deutsche weiterhin viel zu wichtig.
Autor: Claus Gramckow ist USA-Experte der Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit in Washington, DC.