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Aus Anlass des 25. Jahrestages der Öffnung der deutsch-deutschen Grenze in Berlin am 9. November 1989 begrüßte das Transatlantische Dialogprogramm (TAD) der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Washington, DC Beobachter und Betroffene, die den Gästen und Partnern der Stiftung die Bedeutung dieses Ereignisses aus historischer Sicht und persönlichem Erleben darstellten.
Hope M. Harrison, Professorin für Geschichte und internationale Beziehungen an der George Washington University, gab einleitend einen Überblick über die politischen Entwicklungen, die zur Grenzöffnung führten. Wichtigste Entwicklung im Vorfeld des Mauerfalls war der politische Wandel in der UdSSR eingeleitet von Michail Gorbatschow, der mit Perestroika (Umgestaltung) und Glasnost (Offenheit) einen Wandel einleitete, dessen Folgen er selbst nicht überschaute. Außenpolitisch besonders wichtig wurde die ‚Frank-Sinatra-Doktrin’, deren Name auf den Songtitel „I did it my way“ anspielt: Demnach wurde den Staaten des Warschauer Pakts erlaubt, ihre inneren Angelegenheiten selbst zu regeln; damit hatte die sowjetische Interventionspolitik ein Ende. Neben diesen Veränderungen in der Sowjetunion waren nach Auffassung Harrisons das aktiv werden der Ostdeutschen selbst die Hauptursache für den ‚Mauerfall’: Die Montagsdemonstrationen in Leipzig, aber auch in anderen Städten der DDR verstärkten den Druck auf eine unfähige Regierung. Als sich die Situation schließlich zuspitzte, spielten außerdem Zufälle und Ungeschick von DDR-Politikern, wie die Pressekonferenz von Schabowski die zur Öffnung der Mauer führte eine Rolle: „In the end it was an accident“.
Catarina Bannier berichtete über ihre Arbeit bei der ostdeutschen Zeitung „Der Morgen“, aber auch über ihre Erfahrungen mit der Staatssicherheit (Stasi). Sie wurde seit dem 17. Lebensjahr überwacht und arbeitete an einem Plan, aus der DDR auszureisen. Den Abend des 9. Novembers verbrachte sie zunächst damit, abwechselnd das West- und Ostfernsehen zu verfolgen, bevor sie dann das Geschehen an einem der Grenzübergänge beobachtete. Sie betonte, dass im damaligen unmittelbaren Erleben, die Tragweite der Ereignisse überhaupt nicht zu überblicken war.
Torsten Herbst, Generalsekretär der FDP Sachsen, lebte damals in Dresden – in einer Region, wo kein Westfernsehen zu empfangen war und das deshalb ‚Tal der Ahnungslosen’ genannt wurde. Am Abend des 9. Novembers blieb völlig unklar, was die vorgesehenen neuen Reisebestimmungen eigentlich besagten. Herbst stimmte Bannier mit seiner Erinnerung zu: „Wir haben einen historischen Tag erlebt, aber es war uns noch nicht klar, was genau wir da miterlebten.“ Herbst berichtete auch von der Entwicklung im Vorfeld: Die DDR-Regierung hatte darauf bestanden, dass Prager Botschaftsflüchtlinge nur per Eisenbahn durch die DDR in den Westen ausreisen durften. Das führte dazu, dass Dritte versuchten auf die Züge aufzuspringen. Gerade am Bahnhof Dresden kam es so zum ersten Mal zu schweren öffentlich Ausschreitungen zwischen der Polizei und Bürgern. Die im Fernsehen übertragenen Demonstrationen verstärkten die Spannungen in der DDR.
Hans H. Stein, Leiter des Regionalbüros Europäische Institutionen und Nordamerika der FNF, erinnerte an die Zeit der deutschen Teilung: an Geschenkpakete für Verwandte im Osten, Telefonate in die DDR, die der Anmeldung bedurften, und die Begleitumstände bei der Einreise am Bahnhof Friedrichstraße in Berlin. Wie so viele andere West- und Ostdeutsche hatte er die damalige Entwicklung für kaum vorstellbar gehalten: Nur im Nachhinein erscheint sie folgerichtig, damals kam sie letztlich unerwartet.
In der lebhaften Diskussion mit den Gästen kam unter anderem zur Sprache, dass die Politiker auf beiden Seiten die Entwicklung nur begrenzt steuern konnten und mehr oder weniger von ihr überrollt wurden. Der glückliche Ausgang der Ereignisse stand zu keinem Zeitpunkt fest: Es hätte auch anders kommen können.
Auch auf der jährlich stattfindenen Transatlantik-Konferenz des TAD wurde der Fall der Mauer thematisiert: Manfred Richter, Schatzmeister der Stiftung für die Freiheit, und zum Zeitpunkt der Grenzöffnung Mitglied des deutschen Bundestags, berichtete, dass der Fall der Mauer die politische Führung in Bonn ‚vollkommen unerwartet und absolut unvorbereitet‘ traf. Unter ungeheuerem Zeitdruck wurden zunächst die dringlichsten Probleme angegangen: So musste die marode Infrastruktur der DDR an West-Standards angepasst sowie Telefonfunk- und Autobahnnetzwerke erweitertet werden. Besonders der Straßenverkehr nahm nach dem Mauerfall chaotische Formen an: Als am 9. November die Grenze geöffnet wurde, strömten zehntausende DDR-Bürger in die Bundesrepublik. In den Tagen darauf nahm der Ansturm der Menschen noch weiter zu: rund 3 Millionen DDR-Bürger reisten allein am ersten Wochenende in den Westen. Der später viel kritisierte Umrechnungskurs von einer – in der Zwischenzeit wertlos gewordenen – Ost-Mark zu einer Deutschen Mark, war laut Richter eine „unschöne“ Notwendigkeit, um dem wachsenden Flüchtlingsstrom Herr zu werden und zum Verbleiben im Osten Anreize zu setzen.
Neben diesen praktischen Herausforderungen, die das politische Handeln in Bonn in den ersten Wochen nach der Grenzöffnung bestimmten, stand zeitgleich ein noch viel größeres politisches Projekt an: Aus „Zwei plus Vier mach Eins“. Manfred Richter erinnerte daran, dass es nicht nur darum ging, einen Einigungsvertrag mit der DDR abzuschließen, sondern auch einen Vertrag mit den vier Siegermächten des 2. Weltkriegs auszuhandeln, in dem sie auf ihre noch bestehenden alliierten Rechte verzichteten. Besonders in dieser Hinsicht habe sich gezeigt, wer ein wahrer Freund der neuen Bundesrepublik sei. Während Frankreich und besonders Großbritannien der Wiedereinigung Deutschlands aufgrund der Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg eher skeptisch gegenüber standen, waren es vor allem die USA, die den Prozess zur deutsch-deutschen Einigung vorangetrieben hätten. Die Bundesrepublik habe demnach den USA und besonders George Bush Vater, als entschiedenen Fürsprecher der Wiedervereinigung, viel zu verdanken. Diese tiefe Verbundenheit zwischen den zwei Nationen sei auch heutzutage wieder gefragt. Vor allem aktuelle Krisen wie der Ukraine-Konflikt erforderten – so Richter – eine entschlossene Reaktion des Westens und eine verstärkte transatlantische Zusammenarbeit.
(FNF 11/24/2014)
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25 Years after the Fall of the Wall – Personal Accounts
Commemorating the 25th anniversary of the opening of the East-West German border in Berlin on November 9th, 1989, the Transatlantic Dialogue Program (TAD) of the Friedrich Naumann Foundation for Freedom (FNF) welcomed a panel of speakers who experienced the fall of the wall firsthand that shared their personal experiences from that historic day.
Hope M. Harrison, Associate Professor of History and International Affairs at the George Washington University, opened the discussion with an overview of the political events that led to the border opening. The most important development prior to the fall of the wall, she noted, was the political transition within the USSR initiated by Mikhail Gorbachev. Gorbachev’s policies of perestroika (reform) and glasnost (openness) triggered unforeseen consequences for both the Soviet Union and the wider Eastern Bloc. Beyond internal politics, Soviet foreign policy also shifted with the adoption of the “Sinatra Doctrine”. The policy, alluding to the Frank Sinatra song “My Way”, ended the Soviet interventionist policy and allowed members of the Warsaw Pact to more freely manage their own internal affairs.
These regional transitions allowed East Germans to become more politically active. The Monday demonstrations in Leipzig and other regular protests across the country placed increasing pressure on the incompetent government of the GDR. The East German government itself played a key role in the fall of the wall, albeit by accident. Most notably, the now infamous press conference led by Gunter Schabowski that mistakenly announced on November 9th, 1989, that East Germans were allowed to cross the border without permissions caused a mass build-up of East Germans at the Berlin Wall. “In the end,” Harrison made clear, “it was an accident.”
Catarina Bannier, a former journalist, talked about her work at the Eastern German newspaper “Der Morgen” and shared her experiences with the Ministry of State Security (Stasi). Bannier had been monitored by the Stasi since she was 17 years old and, as a result, developed a plan to escape the East. On the evening of November 9th, 1989 Bannier followed the events on both West and East German television before observing the events live at one of the border crossings. She emphasized that the enormous scale of the events prevented any sort of oversight at the moment of the fall of the wall.
Torsten Herbst, Secretary General of the Free Democratic Party in Saxony, lived in Dresden during that time. Before reunification, the region surrounding Dresden did not receive West German TV channels and was sometimes referred to as “The Valley of the Clueless”. The lack of information meant that on the evening of November 9th, 1989, it remained unclear exactly what Schabowski’s announced new travel rules implied. Herbst agreed with Bannier’s observation: “We had experienced a historic moment, but it was not clear to us what exactly we witnessed.” Herbst also described the developments leading up to the fall of the wall: The GDR government insisted that embassy refugees from Prague can only cross the GDR to enter West Germany by train. This policy led third parties to jump on the trains, oftentimes triggering intense altercations between the demonstrators and the police along train routes – especially at Dresden’s main station. Televised demonstrations also intensified tensions in the GDR, according to Herbst.
Hans H. Stein, Director of the Regional Office European Institutions and North America of the FNF, looked back at the time when Germany was divided. He remembered gift boxes sent to relatives in the East, phone calls to the GDR that had to be registered beforehand, and the ordeal of entering the GDR through the Friedrichstraße train station in Berlin. Like many other West and East Germans, he found the unfolding of events difficult to imagine. While in retrospect, it all seems logical; in those moments, everything had happened rather unexpectedly.
During a lively discussion with the audience, it was noted that politicians on both sides of the border had a limited ability to steer the unfolding of events; rather, they were overtaken by them. In addition, it was noted that a happy ending was not necessarily guaranteed after the fall of the Berlin Wall; in fact, things could have ended quite differently.
The fall of the wall was also a topic of discussion of the TAD’s annual Transatlantic Conference: Manfred Richter, Treasurer of the FNF and Member of the German Bundestag at the time of the border opening, underlined that the fall of the wall hit the political leadership in Bonn unexpectedly and that they found themselves unprepared. Lacking time to react, the most pressing needs of reunification had to be addressed first: the dilapidated infrastructure of the GDR needed to be brought up to par to Western standards. The need to upgrade highway infrastructure came into focus with the chaotic road traffic following the fall of the wall as about three million GDR-citizens travelled to the West on the first weekend of the border opening. Additionally, the monetary unification of the two Germanys presented a major issue. According to Richter, the highly criticized exchange rate from one East-Mark to one West-Mark was an ‘unpleasant’ necessity to better control the increasing flow of citizens and to offer financial incentives to those who considered staying in the East.
Apart from the practical challenges that occupied the political discourse in Bonn within the first weeks following the border opening, another, even larger political project had to be managed: “Making one out of four”. Richter reminded the audience that the Unification Treaty with the GDR was not the only challenge. A treaty with the four victorious powers of World War II, in which they renounce their allied rights, had to be renegotiated as well.
Then facing a new political landscape, it was soon clear who was a true friend of the new Federal Republic. While France and Great Britain remained skeptical about Germany’s reunification because of their memories of World War II, the United States encouraged the process of German unification. Thus, the Federal Republic owes the US and especially then President George Bush Sr., a firm supporter of reunification, a great deal of gratitude.
This deep tie between the two nations continues to be a necessity. Current crises such as the ongoing conflict in Ukraine call for a firm collective response by the West and enhanced cooperation by the EU and the US.
(FNF 12.8.2014)