Die Ereignisse des zurückliegenden Jahres haben es nicht gerade einfacher gemacht, eine Bilanz der transatlantischen Beziehungen zu ziehen. Wer es sich leicht machen möchte, der könnte konstatieren, die jüngste Bilanz falle „gemischt“ aus. Während die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Vereinigten Staaten und der EU weiter vertieft wurde, scheinen sicherheitspolitische Aspekte einen Keil zwischen die transatlantischen Partner zu treiben. Besonders bei Fragen zur Cybersicherheit und dem Ukraine-Konflikt gehen die Meinungen der Vereinigten Staaten und vieler europäischer Regierungen auseinander – und gerade hier wäre eine stärkere Kooperation besonders gefragt. Auf der „Transatlantik-Konferenz“ des Transatlantischen Dialogprogramms (TAD), die Ende 2014 in Miami stattfand, bewerteten die Teilnehmer die transatlantischen Beziehungen aus amerikanischer und europäischer Perspektive.
Historische Verbundenheit als Garant für wirtschaftlichen Erfolg
Die historische Verbundenheit der Vereinigten Staaten und Europa reicht viele Generationen zurück. Brian Siegal, Direktor des Regionalbüros Miami des „American Jewish Committee“, erinnerte daran, dass die USA und Europa spätestens seit Beginn des 20. Jahrhunderts eine kollektive Erinnerung, eine gemeinsame soziale Verantwortung sowie gemeinsame Werte verbinden. Darüber hinaus seien speziell die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und den USA von Erfolg geprägt: Seit 1989 hätten sich US-Investitionen in Deutschland vervierfacht; US-Exporte nach Deutschland hätten auf amerikanischer Seite rund 400.000 Arbeitsplätze geschaffen und amerikanische Unternehmen beschäftigten derzeit mehr als 700.000 Arbeitnehmer in der Bundesrepublik. Das geplante Freihandelsabkommen TTIP, das seit Juni 2013 zwischen der EU und den USA verhandelt wird, werde diese Zahlen noch erhöhen und die traditionell guten Handelsbeziehungen zwischen den beiden Wirtschaftsnationen weiter ausbauen.
Transatlantische Freundschaft auf dem Prüfstand
Obschon die wirtschaftliche Kooperation ein positives Bild der transatlantischen Beziehungen zeichnet, stellt die so genannte „NSA-Affäre“ die Freundschaft zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten vor eine Zerreißprobe. Während die USA ihr Spionage-Verhalten aus Sicherheitsgründen für gerechtfertigt halten, stößt dieses Vorgehen – und insbesondere die Gleichgültigkeit seitens der US-Regierung nach den Enthüllungen – auf Unverständnis in Deutschland. Die Spionage-Aktivitäten haben nicht nur zu einem Vertrauensbruch auf deutscher Seite geführt, sondern auch eine offensichtlich unterschiedliche Haltung gegenüber der Balance von Sicherheit und Freiheit offenbart. Während in Deutschland nicht zuletzt wegen der noch frischen Erinnerung an das Stasi-Regime die unkontrollierte Sammlung von Informationen durch Geheimdienste mit Unbehagen beobachtet wird, geht den US-Amerikanern die Überwachung in den EU-Staaten nicht weit genug: Gerade in Europa würden immer mehr islamistische Extremisten rekrutiert, die sich nicht mehr nur über konventionelle Kommunikationskanäle organisieren, so Mark Pfeile, politischer Berater und Blogger der „Huffington Post“. Eine intensivere behördliche Überwachung sowie eine verstärkte Kooperation zwischen den Sicherheits- und Geheimdiensten seien daher notwendig, um die Zivilbevölkerung auf beiden Seiten des Atlantiks zu schützen und terroristische Aktivitäten im Vorfeld abzuwenden.
Während die politischen Eliten über ein Mehr oder Weniger von staatlicher Überwachung streiten, scheinen sich die europäische und insbesondere die deutsche Öffentlichkeit mehr und mehr von den Vereinigten Staaten zu distanzieren. Eine kürzlich erschienene Studie des „German Marshall Funds“ (GMF) kam zu dem Ergebnis, dass nur noch 58 Prozent der Deutschen ein positives Bild von den USA haben; im Jahr 2013 waren es noch 68 Prozent. Die schlechten Umfragewerte hingen in erster Linie mit den Abhörskandalen zusammen, seien aber auch einer allgemeinen Enttäuschung über Präsident Obama geschuldet, von dem sich die Deutschen mehr erhofft hätten.
Die Ukraine-Krise als Probe aufs Exempel
Ein Beispiel für die Entfremdung zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten in sicherheitspolitischen Angelegenheiten liefert die aktuelle Krise in der Ukraine und der darauffolgenden Auseinandersetzung mit Russland. Während sich insbesondere Osteuropäer eine stärkere Führungsrolle der USA im Ukraine-Konflikt gewünscht hätten, verlangen die Vereinigten Staaten ihrerseits mehr Engagement von ihren europäischen Partnern: Falls die NATO eine aktivere Rolle im Osten der Ukraine einnehmen sollte, müsste es auf beiden Seiten des Atlantiks die Bereitschaft geben, den vertraglichen Pflichten nachzukommen – dazu gehöre auch, zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes eines jeden NATO-Mitgliedstaates für Verteidigungsaufgaben bereitzustellen. Die Bundesregierung weigere sich derweil noch, das Verteidigungsbudget von 1,3 Prozent auf zwei Prozent des Gesamthaushaltes zu erhöhen. Die US-Amerikaner erklärten wiederum, dass sie die finanzielle und militärische Last unmöglich alleine schultern könnten. Weder das Abwälzen von Verantwortung auf die Vereinigten Staaten noch die zurückhaltende Position der USA bringe jedoch einen Fortschritt, erläuterte Markus Pindur, US-Korrespondent des Deutschlandradios. Das Gegenteil sei vielmehr der Fall: Die Uneinigkeit unter den transatlantischen Partnern sende die falschen Signale nach Moskau – Russland müsse endlich eine adäquate Antwort auf seine Provokationen erhalten. Anstatt sich gegenseitig den schwarzen Peter zuzuschieben, sollten konkrete Handlungen folgen. Dafür schlug Pindur vor, dass die USA in der Ukraine-Krise eine aktivere Rolle einnähmen, etwa durch die Stationierung einer amerikanischen Einheit an der polnischen Grenze, die EU-Staaten, die über (noch) keine integrierte Verteidigungseinheit verfügen, ihrerseits ihren finanziellen Soll erfüllen und eine einheitliche, entschlossene Linie bei den Sanktionen gegen Russland einschlagen müssten. „Kooperation und Zusammenhalt“ seien die Zauberwörter in der aktuellen Krise. NATO, EU und die Vereinigten Staaten müssten die Ukraine gemeinsam stärken und Russland mit einer Stimme entgegentreten.
„The way forward“ – Die Zukunft der transatlantischen Beziehungen
Die von der Ukraine-Krise ausgehende Auseinandersetzung mit dem Russland Vladimir Putins hat das Potential, zur Bewährungsprobe der transatlantischen Beziehungen zu werden. Anstatt die Kooperation zwischen Europa und den USA lediglich auf die wirtschaftlichen Beziehungen zu reduzieren, müsse die Zusammenarbeit vor allem bei Sicherheitsfragen verstärkt werden. Europa und die Vereinigten Staaten müssten erkennen – so waren sich die Teilnehmer einig –, dass aktuelle Krisen wie die Bekämpfung des Islamischen Staates, der syrische Bürgerkrieg, die Ausbreitung von Ebola oder das iranische Atomprogramm globale Bedrohungen seien, die nicht im Alleingang gelöst werden könnten. So war es letztlich an Brian Siegal, treffend zusammenzufassen: „Transatlantische Bedrohungen erfordern transatlantische Antworten.“
(FNF 1/15/2015)