Beispiellos brutal herrscht die radikal-islamistische Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) über weite Teile Syriens und Nordiraks. Der IS stellt jedoch nicht allein eine akute Bedrohung für die Menschen im Nahen Osten, sondern auch für viele westliche Staaten dar: Die Enthauptung westlicher Journalisten, das Attentat in Ottawa, oder zuletzt die blutigen Anschläge von Paris – der IS agiert auf globaler Ebene. Auf der Transatlantik-Konferenz des Transatlantischen Dialogprogramms (TAD) der Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit (FNF), die Ende 2014 in Miami stattfand, diskutierten Teilnehmer aus Kanada, den USA und Europa über Reaktionen des Westens und die Auswirkungen des Terrors auf die transatlantischen Beziehungen.
Das Netzwerk der Gotteskrieger
Der ‚Islamische Staat‘, wie sich die Terrororganisation seit Juni 2014 nennt, rekrutiert seine Anhänger in der ganzen Welt – insbesondere in Europa. Darunter sind in Syrien geborene Einwanderer, die nach Ausrufung des Kalifats durch den IS nach Syrien zurückkehren möchten; oft sind es aber auch Jugendliche der zweiten oder dritten Migrantengeneration, die sich berufen fühlen, im ‚Heiligen Krieg‘ mitzukämpfen. Viele der rekrutierten IS-Kämpfer hätten keinen festen Halt in der Gesellschaft ihres Gastlandes und seien daher besonders anfällig für die Missionierung des IS.
Für viele Europäer sei die Furcht vor Angriffen im eigenen Land allerdings noch besorgniserregender als die Rekrutierung von Islamisten aus Europa. Besonders in den über dreißig Mitgliedsstaaten der internationalen Allianz gegen den IS wächst die Terrorangst. Noch vor den Anschlägen in Paris, die Anfang Januar weltweites Entsetzen und eine Welle der Solidarität auslösten, bekam die kanadische Öffentlichkeit bereits im Oktober 2014 das globale Ausmaß des Terrors zu spüren: Der Ottawa-Attentäter, der erst einen kanadischen Soldaten niederschoss und danach das Parlamentsgebäude stürmte, hatte zwar selbst keinen arabischen Hintergrund, wurde aber von Freunden als ‚dem Islam zugeneigt‘ beschrieben. Nachdem dem 32-Jährigen die Ausreise nach Syrien mehrfach verweigert wurde, entschied er sich, den Kampf des IS in den Westen zu tragen. Die Angst vor der Ausweitung des Dschihads auf weitere westliche Staaten ist groß. Wie also reagieren westliche Regierungen auf den Terror des IS?
Antworten aus Kanada
Kurz nach dem islamistisch motivierten Anschlag in Ottawa machte der kanadische Premierminister Stephen Harper in einer Ansprache deutlich, dass sich Kanada nicht einschüchtern lasse und den Kampf gegen den IS noch intensivieren würde. Innenpolitisch haben die Anschläge verschiedene Reaktionen hervorgerufen:
Während in vielen Staaten infolge des IS-Terrors eine zunehmende Tendenz zu Islamfeindlichkeit zu konstatieren sei, gäbe es in Kanada laut Meaghan Conroy, die seit vielen Jahren in der liberalen Partei Kanadas aktiv ist, dafür keine Anzeichen: Nach den Anschlägen wurde der Kontakt zur muslimischen Gemeinschaft gesucht und die Zusammenarbeit intensiviert. So arbeiteten die Imame eng mit den kanadischen Behörden zusammen und achteten darauf, dass junge Gläubige nicht vom rechten Weg abgebracht würden.
Auf der anderen Seite hätten die Terroranschläge in dem sonst so liberalen und für seinen Multikulturalismus bekannten Kanada aber auch zu restriktiveren Politikpraktiken geführt: Mit mehr Überwachung möglicher Terroristen, Festnahmen auf Verdacht und einer vereinfachten Aberkennung der Staatsbürgerschaft versuche sich Kanada gegen weitere Anschläge zu wappnen. Die angespannte Sicherheitslage könne auch Folgen für die kanadische Unterhauswahl im Oktober 2015 haben: In einer Umfrage, die Ende Oktober 2014 durchgeführt wurde, konnte die regierende konservative Partei einige Punkte auf die aktuell führenden Liberalen gutmachen. Wie in Krisenzeiten oftmals zu beobachten, setzen viele Kanadier derzeit auf Sicherheit und Altbewährtes, was dem amtierenden Premierminister Harper zugutekommt.
Am Beispiel Kanadas wird deutlich, dass der IS-Terror bereits durchaus Einfluss auf das politische Geschehen in vielen Ländern ausübt. Doch nicht allein die Innenpolitik ist betroffen; auch die internationalen Beziehungen werden infolge des IS-Terrors auf eine harte Probe gestellt.
Auswirkungen auch auf die internationalen Beziehungen
Artur Orkisz, Referent der Polnischen Botschaft in Washington, DC, fürchtet etwa die Einschränkung der Visafreiheit für europäische Staatsbürger in Folge der Ausbreitung des IS-Terrors. Das Visa Waiver Program (VWP) erlaubt es bislang Bürgern von 38 Staaten, darunter 30 europäische Länder, für Aufenthalte von weniger als neunzig Tagen ohne Visum in die USA einzureisen. Dieses Programm stehe nun auf der Kippe: Aus Angst vor der Einreise von Terroristen mit westlichen Pässen reichte der Kongressabgeordnete Doug Collins einen Gesetzesentwurf ein, der die Aussetzung des VWP für 180 Tage vorsieht. Der Gesetzesentwurf fand sowohl Befürworter unter den Republikanern als auch innerhalb der demokratischen Partei. Ohne das Programm würde der Tourismus und der damit einhergehende ‚people-to-people contact’, also der Kontakt zwischen den Menschen auf beiden Seiten des Atlantiks, erheblich eingeschränkt. Diese Zusammentreffen seien laut Orkisz jedoch das Herzstück der transatlantischen Beziehungen. Ob sich die Aussetzung des Visaprogramms durchsetzen kann, werde sich in den nächsten Monaten zeigen; die Einreisevorschriften für Touristen wurden allerdings schon jetzt verschärft. So müssten Besucher in Zukunft vor der Einreise in die USA zusätzliche Reisepassdaten und Informationen über Kontaktpersonen angeben.
Während die Maßnahmen im Kampf gegen den IS-Terror sich nachteilig auf die transatlantischen Alltagsbeziehungen auswirken können, könne der vereinte Kampf gegen die Terroristen aber auch ein Katalysator für eine künftig engere transatlantische Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen sein. Wie wichtig ein reibungsloser Informationsaustausch zwischen den transatlantischen Partnern hinsichtlich verdächtiger Personen und anderer sicherheitsrelevanter Informationen ist, habe sich vor ein paar Wochen wieder bestätigt: So gelang es der deutschen Bundespolizei auf dem Frankfurter Flughafen, drei Teenager aus Denver festzunehmen, die sich nach Angaben des FBI den IS-Kämpfern in Syrien anschließen wollten.
Vereint gegen den Terror
Der IS-Terror stellt die Regierungen auf beiden Seiten des Atlantiks vor eine schwierige Aufgabe: Einerseits hat die Furcht vor Anschlägen in westlichen Staaten ein gewisses Misstrauen gegenüber Fremden geschaffen; andererseits sind jedoch gerade jetzt Solidarität und Einigkeit gefragt, um das westliche Lebensmodell nicht in Frage zu stellen. Für die transatlantischen Partner gilt es nun, diesen Spagat zu bewältigen. Mit dem Solidaritätsmarsch nach den islamistischen Anschlägen in Paris unter dem Motto ‚Wir alle sind Charlie’ setzten die Staats-und Regierungschefs vieler Staaten ein wichtiges Zeichen gegen religiösen Extremismus. Zusammenhalt und eine noch intensivere transatlantische Zusammenarbeit, insbesondere in der Sicherheitspolitik, sei nach Meinung der Konferenzteilnehmer hier der Schlüssel zur Bekämpfung der Extremisten. (FNF 1/15/15)