Interview: State of the Union – Obama läutet den Präsidentschaftswahlkampf 2016 ein

Source FNFAm 20.01.2015 hielt Präsident Barack Obama seine siebte State of the Union Address (Rede zur Lage der Nation). Vor dem neu gewählten Kongress sprach er über erzielte Erfolge, akute Herausforderungen und konkrete Pläne für die Zukunft. Freiheit.org sprach mit dem US-Experten Claus Gramckow über Obamas innenpolitische Ziele und transatlantische Kernthemen, die die letzten zwei Jahre seiner Amtszeit bestimmen werden. 

>>Wie fällt Obamas Einschätzung zur Lage der Nation aus? Wie hat sich der Präsident in seiner Rede positioniert?

Präsident Barack Obama hat sich mit seiner diesjährigen Rede zur Lage der Nation von den Fesseln des Regierens freigemacht und ist dahin zurückgekehrt, worin er stark ist: die Wahlkampfrhetorik. Seine Vorschläge, gerade die im Bereich Wirtschaftspolitik, werden von den Republikanern abgelehnt. Mit seiner Rede verfolgte er die Strategie, die Republikaner als Partei der Blockierer und damit als regierungsunfähig darzustellen. Somit hat er offiziell den Präsidentschaftswahlkampf 2016 eingeläutet.

Inhaltlich konzentrierte er sich auf innenpolitische Themen: Der Präsident will Mutterschaftsurlaub, bezahlte Krankheitstage und bezahlbare Kinderbetreuung einführen, Studiengebühren an Fachhochschulen streichen und Steuerschlupflöcher für Reiche schließen. Vor allem die Mittelklasse soll von seinen Plänen profitieren. Dabei betonte er immer wieder seine Erfolge der letzten Jahre: Die US-Wirtschaft ist stabil, Obamas Gesundheitsreform wurde umgesetzt, Fortschritte im Bereich Bildung wurden erzielt und in Sachen Energie ist Amerika unabhängig.

>>Wie ist die Stimmung im Kongress? Hat Obama überhaupt eine Chance seine Agenda durchzusetzen oder wird er schon zwei Jahre vor Ende seiner zweiten Amtszeit zu einer ‚lame duck’?

Ob Obama seine Vorhaben auch erfolgreich umsetzen kann, bleibt abzuwarten. Seit Anfang des Jahres haben die Republikaner nicht nur die Mehrheit im Repräsentantenhaus, sondern auch im Senat. Dies ist keine leichte Ausgangssituation für Obama, wenn man bedenkt, dass sich das Verhältnis zwischen dem Präsidenten und dem Kongress in den letzten Jahren zunehmend polarisiert hat. Die Zerstrittenheit innerhalb der Republikanischen Partei könnte Obama wiederum zugutekommen. Etwa drei Dutzend konservative Abgeordnete haben bei der Wiederwahl von John Boehner, dem republikanischen Sprecher des Repräsentantenhauses, gegen diesen gestimmt.

Die Republikaner halten die jetzige Parteiführung im Parlament für zu moderat und zu kompromissbereit. Schon die Einigung bei der Verabschiedung des Haushaltes 2015 wurde bei den Konservativen als Verrat angesehen. Die Republikanische Partei muss aber zeigen, dass sie kompromissfähig und damit regierungsfähig ist, um 2016 nicht ihre Mehrheiten im Kongress zu verlieren und das Weiße Haus zurückzugewinnen. Der amerikanische Wähler will eine funktionierende Regierung.

In den letzten Monaten hat der Präsident den Republikanern schon einige schwere Brocken vor die Füße geworfen: Mit seinem Dekret zur Einwanderungspolitik, seinem drastischen Kurswechsel der US-Kubapolitik und seinen Plänen zur Streichung von Studiengebühren an Community Colleges wagte er gleich drei bedeutende und kontroverse Vorstöße.

Außerdem hat er angekündigt, gegen die beiden entscheidenden Gesetzesvorlagen der Republikaner zur XL Keystone Pipeline und zu Obamacare sein Veto einzulegen. Die Rolle des Präsidenten bleibt auch in den nächsten zwei Jahren relevant, da er neben dem Vetorecht auch weiterhin die wichtigste öffentliche Plattform (bully pulpit) besitzt. Damit kann er die politische Diskussion dominieren und bestimmen; dies hat er bei seiner Rede zur Lage der Nation bereits bewiesen.

Source wikimedia public domain>>In seiner Rede zur Lage der Nation vor zwei Jahren kündigte Obama offiziell die Aufnahme von Verhandlungen zur Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) an. Die Euphorie war groß. Derweil zeichnet sich jedoch zunehmender Widerstand – vor allem von demokratischer Seite – im Kongress ab. Wie wird es mit TTIP weitergehen? Gibt es neben TTIP weitere Themen, die Europa und das transatlantische Bündnis direkt tangieren?

Auf die im Jahr 2013 angekündigte Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft ging Obama nur kurz ein. Obama sieht Europa nach wie vor als einen der engsten Partner. Um die Chancen auf ein Handelsabkommen zwischen der EU und den USA zu erhöhen, will er vom Kongress eine Verhandlungsvollmacht (Trade Promotion Authority) erlangen. Der Kongress kann dem ausgehandelten Vertrag dann entweder zustimmen oder ablehnen. Er kann den Vertrag jedoch nicht modifizieren oder durch die Taktik des filibustern* aufschieben. Widerstand gegen das Abkommen und die TPA gibt es nicht nur aus eigenen Reihen, sondern auch von Tea-Party Anhängern.

Die NSA-Affäre hat einen Schatten auf die transatlantische Partnerschaft geworfen. Und auch wenn die Snowden-Enthüllungen nicht mehr tagtäglich die Schlagzeilen der Presse bestimmen, bleiben die Themen Datenschutz und Internetsicherheit bedeutend. 2014 kündigte Obama Reformen der NSA an, um das Vertrauen der Bürger auf beiden Seiten des Atlantiks wiederzugewinnen. In Anbetracht der sich ausbreitenden Gefahren durch den IS-Terror, gerade nach den Anschlägen in Paris, dürften die Hoffnungen auf umfangreiche Reformen in naher Zukunft jedoch schwinden.

*eine im amerikanischen Senat geübte Praktik, durch Marathonreden Parlamentsbeschlüsse zu verzögern oder zu verhindern.

(FNF 01/21/2015)