Kanada hat die Wahl – Parlamentswahlen 2015

Im OktoberSource FNF 2015 wird das kanadische Unterhaus neugewählt. Zehn Monate vor den Wahlen stehen die Zeichen auf Wechsel. Besonders die liberale Partei unter der Führung des charismatischen Justin Trudeau scheint sich von ihrer historischen Niederlage 2011 erholt zu haben und spielt in aktuellen Umfragen wieder vorne mit. Mit Politikexperten aus Kanada wurden auf der Transatlantik-Konferenz des Transatlantischen Dialogprogramms (TAD), die Ende 2014 in Miami stattfand, die aktuelle politische Lage Kanadas und die Aussichten auf die Parlamentswahlen 2015 analysiert.

Kanada im Umbruch?

Das politische Klima in Kanada, dessen politisches System weitgehend dem britischem Vorbild folgt, hat sich nach Angaben von Anne-Sophie Belzile, die mehrere Jahre im kanadischen Senat tätig war, vor allem in den vergangenen Jahren stark gewandelt: Während die konservative Partei um Ministerpräsident Stephen Harper bei der vorangegangSource FNFen Parlamentswahl 2011 noch die absolute Mehrheit errang und somit allein regieren konnte, nahmen ihre Zustimmungswerte seither stetig ab. Einer der Faktoren für die schwindene Beliebtheit der Konservativen innerhalb der Bevölkerung ist der Betrugs- und Bestechungsskandal um den von Harper benannten Senator Mike Duffy. Dieser muss sich im Frühjahr in insgesamt 31 Anklagepunkten, u.a. der Veruntreuung öffentlicher Gelder, vor einem kanadischen Gericht verantworten. Das Gerichtsverfahren, das sich zeitlich in die heiße Phase des Wahlkampfes ziehen wird, könnte sich negativ auf Harper und seine Partei auswirken. Ein weiterer Grund für die sinkende Zustimmung für die Konservativen sei laut Andre Albinati, Partner der Earnscliffe Strategy Group, eine gewisse Ermüdung der Bürger von konservativer Politik. Nach acht Jahren Amtszeit, die wenig Platz für Innovation und Veränderung ließen, könnte es nach Einschätzung Albinatis somit schwierig für Harper werden, ein drittes Mal zum Premierminister gewählt zu werden.

Im Gegensatz zur konservativen Partei befindet sich die Liberal Party of Canada (LPC) im Aufwind. Nachdem diese bei den letzten Parlamentswahlen im Mai 2011 eine herbe Wahlniederlage mit lediglich 19 Prozent der Stimmen hinnehmen musste, konnte sie sich in den vergangenen Jahren aus dem Umfragetief befreien und liegt in aktuellen Umfragen mit 33,1 Prozent sogar noch zwei Prozentpunkte vor der regierenden Konservativen Partei.[1] Grund dafür sei vor allem der Imagewechsel, den die liberale Partei unter neuer Führung vollzogen habe.

Spitzenkandidaten im Porträt

Quelle flickr Justin TrudeauAn die Stelle des vorherigen Liberalen Parteivorsitzenden, Michel Ignatieff, trat im April 2013 der 42-jährige Justin Trudeau. Als Sohn von Pierre Trudeau, dem ehemaligen kanadischen Premierminister, trägt er einen berühmten und einflussreichen Namen. Trudeau, der als charismatisch und bei der breiten kanadischen Mittelschicht als besonders beliebt gilt, verkörpert das komplette Gegenteil zum kamerascheuen Stephen Harper. Mit Werbespot-ähnlichen TV-Auftritten zieht Trudeau die Wähler in seinen Bann, was Albinati als ‚Trudeaumania‘ bezeichnet. Für die Liberalen gilt es nun, die Wähler nicht nur von der Person Trudeau, sondern auch von der Substanz ihrer Politikinhalte zu überzeugen. Mit Trudeau an ihrer Spitze steht die Liberale Partei für ein freies, wohlhabendes, sozialgerechtes und umweltfreundliches Kanada. Die Liberalen bieten damit ein innovatives Kontrastprogramm zu der konservativen Partei, die weiterhin an ihren Kernthemen wie Wirtschaftswachstum und Recht und Ordnung festhält.

Für den amtierenden Ministerpräsidenten Stephen Harper spricht auf der andere Seite der Erfolg der vergangenen Jahre: ein beständiger Beschäftigungszuwachs und der erste Haushaltsüberschuss seit sechs Jahren haben das Land erfolgreich aus der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise geführt. Darüber hinaus ist die seit 2003 wiedervereinte Conservative Party unter Harpers Führung zu einer der finanzstärksten Parteien Kanadas avanciert: Durch die von Harper eingeleitete Umstrukturierung der Parteiorganisation und Spendenaquise nimmt die Partei jährlich mehr Spenden ein als alle anderen Parteien zusammen. Trotz der guten Führung seiner Partei wurde Harper in der letzten Zeit wegen seines teilweise autoritären Führungsstils sowohl von der Opposition als auch in den eigenen Reihen kritisiert.

Ein weiterer Spitzenpolitiker, der jedoch im Vergleich zu Harper oder Trudeau mit weniger Erfolgsaussichten auf das Premierministeramt die Wahlen antritt, ist der Parteivorsitzende der New Democrats (NDP), Thomas Mulcair. Mulcair, der die NDP seit 2012 anführt, gilt gemeinhin als kompetent, ist jedoch längst nicht so charismatisch wie sein Vorgänger Jack Layton. Layton, der den New Democrats 2011 noch zu einem unverhofften Wahlsieg in der Provinz Quebec verhalf, verstarb kurze Zeit später. Mulcairs Partei liegt derzeit mit 19,1 Prozent auf Platz drei hinter den Liberalen und Konservativen.

Was 2015 wichtig wird

An Themen, die möglicherweise den Wahlkampf bestimmen könnten, nannte Albinati die Kontroverse um den Einsatz ausländischer Zeitarbeitskräfte, den Abbau von Handelshemmnissen zwischen den Provinzen sowie die politischen Beziehungen zu der kanadischen Urbevölkerung, die nach mehreren Fällen von verschwundenen und ermordeten First Nation-Frauen auf die Probe gestellt wurden. Auch außenpolitische Themen wie der Abbau von grenzüberschreitenden Preisunterschieden zwischen Kanada und den USA und die Sicherheitsbedrohung durch den ‚Islamischen Staat‘ könnten einen entscheidenden Einfluss auf die Wahl haben. So führten die islamistisch motivierten Anschläge in Ottawa im Oktober 2014 – zumindest vorübergehend – zu einem Umschwung in den Umfragewerten. Vier Monate lang hatte Trudeau die Liste des ‚bevorzugten Premierministers’ angeführt; dies änderte sich jedoch schlagartig in Folge des IS-motivierten Terrors: In einer Fernsehansprache verkündete Premier Stephen Harper, dass seine Regierung in Zukunft noch bestimmter handeln werde, um die Sicherheit der Bürger in Kanada zu gewährleisten. Da für viele Bürger nach den Terroranschlägen Sicherheit und Stabilität an erster Stelle standen, konnte sich Harper kurz nach den Anschlägen mit knappen zwei Prozentpunkten vor Trudeau positionieren. Seither liefern sich die beiden Spitzenkandidaten ein spannendes Kopf-and Kopf-Rennen. Zuletzt lag Harper mit 32,1 Prozent 2,6 Prozentpunkte vor Trudeau auf der Beliebtheitsskala.[2]

Die aktuellen Entwicklungen zeigen, dass sich bis zu den Wahlen im Herbst noch viel verändern kann –  die kanadischen Teilnehmer der Konferenz erwarten ein spannendes Rennen zwischen Trudeaus Liberaler und Harpers Konservativer Partei.

(FNF 2/2/2015)

[1] http://www.electionalmanac.com/ea/canada/

[2] http://www.nanosresearch.com/library/polls/Nanos%20Political%20Index%202014-11-07E.pdf