Bei seinem diesjährigen Besuch in der US- Hauptstadt Washington, DC sprach Dr. Wolfgang Gerhardt, Vorstandsvorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, vor einem breiten Washingtoner Publikum zum Thema „Quo Vadis Germany? An Assessment“. In seinem Vortrag diskutierte Dr. Gerhardt die Bedeutung der transatlantischen Partnerschaft für aktuelle internationale Herausforderungen sowie die Haltung der deutschen und europäischen Liberalen hierzu.
Zu Beginn seiner Rede erinnerte Dr. Gerhardt daran, dass sowohl Deutschland als auch die Vereinigten Staaten in ihrer politischen Kultur Kinder der Aufklärung seien. Bei der Verteidigung gemeinsamer Werte und ökonomischer Prinzipien sei man aufeinander angewiesen, da nur eine enge Kooperation auch den nachfolgenden Generationen ein Leben in Freiheit und Sicherheit ermöglichen könne.
Der anhaltende Frieden in Europa konnte nach den zwei Katastrophen des vergangenen Jahrhunderts nur dadurch gesichert werden, dass europäische Staaten bereit gewesen seien, eigene Souveränitätsrechte abzugeben – ein „für Amerika nur schwer vorstellbarer Vorgang“, wie Gerhardt einwandte. In Europa sei jedoch eine suprastaatliche Organisation, die für Außenstehende äußerst komplexe und schwer nachvollziehbare Entscheidungsfindungsprozesse mit sich brächte, zur Sicherung des Friedens notwendig gewesen.
Darüber hinaus führte Gerhardt aus, dass der religiöse Fundamentalismus unabhängig seines Ursprungs eine Bedrohung für freiheitlich-demokratische Gesellschaften berge. Auch dies gelte für beide Seiten des Atlantiks, so Gerhardt. Des Weiteren obliege es gerade diesen Gesellschaften, ihren Selbstbehauptungswillen bei der Verteidigung ihrer eigenen Werte den Gegnern einer demokratischen Grundordnung entgegenzusetzen. Dies gelte nicht nur nach außen gegenüber Staaten, die eklatant die Menschenrechte verletzten, sondern auch nach innen, in die eigene Gesellschaft hinein. Gerade in Zeiten zunehmend konfrontativer politischer Kulturen sei eine feste Werteorientierung, so der FNF-Vorsitzende, eben nicht allein eine notwendige Bedingung für das transatlantische Bündnis, sondern sei für jeden einzelnen politisch denkenden und handelnden Menschen vonnöten.
Auch auf die Situation in Russland ging Gerhardt ein. Das Land habe die überfällige Modernisierung seiner Wirtschaft versäumt und weise erhebliche Demokratiedefizite auf. Zudem sei die russische Außenpolitik von imperialer Nostalgie gesteuert. Er betonte, Deutschland habe zwar ein Interesse an einem stabilen und wirtschaftlich erfolgreichen Russland, jedoch könne sich die Politik nicht allein an „wishful thinking“ ausrichten; vielmehr sei die politische Realität entscheidend. Eine strategische Partnerschaft brauche ein Wertefundament. Dies sei angesichts der aktuellen politischen Führung im Kreml nur schwer vorstellbar.
In Bezug auf die Krise innerhalb der Europäischen Union führte Gerhardt aus, dass eine der Ursachen die Unfähigkeit bzw. der Unwille politischer und gesellschaftlicher Eliten, grundlegende strukturelle Reformen anzugehen, sei. Die exzessive Schuldenaufnahme, verbunden mit einer überbordenden Ausgabenpolitik, zwängen Länder wie Griechenland nun dazu, sich der Realität zu stellen. Deutschlands gegenwärtige Rolle in Europa könne dabei mit der Rolle Amerikas in der Welt verglichen werden: wirtschaftlicher Erfolg, gepaart mit politischem Gewicht, führten offenbar zwangsläufig zu Reibungen. Dies habe Amerika erfahren müssen, dies müsse nun auch Deutschland erfahren.
Als „absurd“ bezeichnete Gerhardt den öffentlichen Diskurs in Deutschland über das Transatlantische Handels- und Investitionsabkommen (TTIP). Dabei geriete zwischen der Diskussion über Chlorhühnchen und Antibiotika-Puten oft in Vergessenheit, dass das Abkommen von politischen und strategischen Erwägungen getragen sei, welche Standards für andere Wirtschafträume setzen würden. Gerhardt verwies auch in diesem Zusammenhang darauf, dass das Abkommen das wirtschaftliche Fundament der transatlantischen Gemeinschaft weiter stärken würde.
Abschließend verdeutlichte Dr. Gerhardt, wofür die liberale Bewegung in Deutschland stehe: für freien Handel, soziale Marktwirtschaft, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte, das transatlantische Bündnis sowie die Einbettung deutscher Politik in die Europäische Union. Der Liberalismus habe die deutsche Geschichte nachhaltig geprägt und sei die politische Grundlage einer freiheitlichen Gesellschaft und Politik. Liberalismus, so Gerhardt, sei keine Rechthaberei oder Kompromisslosigkeit. Liberalismus sei eine Haltung.
Stefan Rottler, Stipendiat der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und Praktikant im FNF-Büro in Washington.