
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat das sogenannte „Safe Harbor-Abkommen“ zwischen der EU und der USA mit sofortiger Wirkung für ungültig erklärt. Das Abkommen regelte den Datentransfer zwischen beiden Seiten des Atlantiks. Für Unternehmen tritt damit nun eine Phase der Ungewissheit ein; die Politik steht unter Handlungsdruck. Wie die EuGH-Entscheidung in Washington und Brüssel aufgenommen wurde, beschreiben der Europaexperte Håvard Sandvik aus Brüssel und die USA-Expertin Iris Froeba aus Washington.
- Herr Sandvik, wie waren die Reaktionen auf das Abkommen in Brüssel?

Der EuGH hat deutlich gemacht, dass die Grundrechte auf Privatsphäre und Datenschutz nicht nur innerhalb Europas gelten, sondern auch bei internationalen Datentransfers beachtet werden müssen. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Vorstandsmitglied der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, bewertete das EuGH-Urteil daher als einen „Paukenschlag für das Recht auf Datenschutz”. Die stellvertretende Vorsitzende der liberalen ALDE-Fraktion, Sophie in’t Veld, MdEP bezeichnete das Urteil als „Sargnagel von Safe Harbour“ und kritisierte, dass es der Europäischen Kommission bislang nicht gelungen sei, ein „Safe Harbor 2.0“-Abkommen mit den USA zu verhandeln. In einem Schreiben an den Kommissionsvizepräsidenten Frans Timmermans fordert in’t Veld, endlich Regelungen zum Schutz der europäischen Bürger vor Datendiebstahl zu vereinbaren. Selbst die EU-Kommission hat die Entscheidung der Richter in Luxemburg nicht kritisiert. Vielmehr sieht sie es als eine Bestätigung ihrer Position bei den bereits laufenden Neuverhandlungen eines Datenschutzabkommens. Es wird erwartet, dass die Position der EU-Kommission am Verhandlungstisch durch das Urteil gestärkt wurde, denn der Handlungsdruck ist gestiegen. Gleichzeitig ist die Entscheidung aber auch ein Imageverlust der EU-Kommission in den Augen der EU-Bürger. Das Urteil ist deshalb auch ein wichtiges Signal an die EU-Kommission, bei den Verhandlungen zum Transatlantischen Investitions- und Handelsabkommen stärkere Datenschutzrichtlinien nicht außer Acht zu lassen.
- Wie wurde das Urteil von der Wirtschaft aufgenommen?
Auf Wirtschaftsseite äußerte der Stellvertretende Generaldirektor von Business Europe Jérôme Chauvin Bedenken, dass der gesamte transatlantische Datentransfer auf dem Spiel stehe. Auch drohe eine Fragmentierung der Märkte in Europa. Da die Entscheidung keine Übergangsfristen für Datatransferunternehmen vorsieht, sind die täglichen Operationen von über 4.400 Unternehmen, insbesondere aus dem Bereich des Mittelstands, unmittelbar betroffen, so das Brüsseler Forschungsinstitut ECIPE. ECIPE befürchtet gar eine mögliche Einbuße von bis zu 1,3% des europäischen Bruttoinlandsprodukts aufgrund des erschwerten Handels. Größere Firmen wie Amazon, Airbnb, Facebook haben sich bereits seit längerem auf ein mögliches Ende von Safe Harbor vorbereitet. So hat z.B. Amazon eine neuen Datencenter in Frankfurt aufgebaut, um unter anderen deutlich zu machen, dass der hohe deutsche Datenschutzstandard eingehalten werde.
- Frau Froeba, wie sahen die Reaktionen auf das Urteil in Washington aus?

Die Meinungen zum „Safe Harbor“-Urteil gehen in den USA auseinander. Auf der einen Seite stehen Vertreter der Regierung und Vertreter der betroffenen Unternehmen, die das Urteil als Gefahr für die transatlantische Digitalwirtschaft sehen; auf der anderen Seite werden Stimmen von Datenschutzrechtlern laut, die die Entscheidung als politischen Impuls für Reformen der US-amerikanischen Überwachungsprogramme feiern. US-Handelsministerin Penny Pritzker warnte davor, dass das Urteil zu einem erheblichen Maß an Ungewissheit auf beiden Seiten des Atlantiks führe, sowohl auf politischer Ebene als auch auf Unternehmens- und Verbraucherseite. Auch der Technologie-Experte der Information Technology and Innovation Foundation, Daniel Castro, stuft das Urteil als große Gefahr für die digitale Wirtschaft ein. Die Entscheidung spiegele den europäischen Unmut gegenüber der US-Regierung wider. Auf beiden Seiten des Atlantiks müsse es Reformen geben. „Safe Harbor“ für komplett ungültig zu erklären sei aber laut Castro nicht der richtige Weg. Jens Henrik-Jeppsen vom Center for Democracy and Technology betont, dass Reformen auf beiden Seiten des Atlantiks dringend nötig seien. Durch die Einbringung von Datenschutzgesetzen müsse der Kongress das Vertrauen der Unternehmen und Bürger wiederherstellen.
- Frau Froeba, Herr Sandvik, wie geht der Weg jetzt weiter für „Safe Harbor“?
Das Urteil verdeutlicht das unterschiedliche Verständnis von Amerikanern und Europäern im Bereich Datenschutz im Internet, wobei die Snowden-Enthüllungen das transatlantische Vertrauensverhältnis gerade mit Blick auf den Datenschutz zusätzlich erschüttert haben. In Europa stellt man das Recht auf Privatsphäre fast mit Grundrechten wie der Meinungsfreiheit gleich. Bereits im vergangenen Jahr hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) geurteilt, dass Personen unter bestimmten Voraussetzungen digitale Informationen, die man im Internet über sie findet, die aber nicht mehr aktuell sind, löschen lassen können. In den USA geht der Schutz der Privatsphäre zwar einher mit verbraucherschutzrechtlichen Fragen. Eingriffe in die Privatsphäre durch öffentliche Institutionen zum Schutz der Sicherheit werden aber mehrheitlich gut geheißen.
Technologie-Riesen wie Facebook und Microsoft scheint das Urteil zunächst nicht sonderlich zu berühren. Ein Sprecher von Facebook äußerte, dass der Fall nichts mit Facebook als Unternehmen an sich zu tun hätte. Die Social-Media-Plattform habe nichts falsch gemacht, das habe auch der Generalanwalt bestätigt. Die Technologie-Unternehmen lassen ihr Alltagsgeschäft erst einmal wie gewohnt weiterlaufen, denn es gäbe andere Vereinbarungen neben dem „Safe Harbor“-Abkommen mit der EU, die eine rechtliche Grundlage für den Datentransfer schaffen.
Es ist jetzt an der EU-Kommission, sobald wie möglich ein neues Abkommen auszuhandeln, das Datenschutz gewährleistet, den transatlantischen Handel aber nicht gefährdet.