FNF-Analyse: US-Truppenverstärkung stärkt Bündnissolidarität vor NATO-Gipfel – Klares Signal nach Osten

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Flaggen vor dem NATO-Hauptquartier in Brüssel und die Skulptur mit dem NATO-Emblem (Quelle: Wikimedia Commons)

Anfang April gab das Pentagon Pläne bekannt, einen Truppenverband an die Ostflanke der NATO zu verlegen. Damit reagiert das US-Verteidigungsministerium auf die Sorgen europäischer NATO-Verbündeter vor möglichen russischen Aggressionen. Mit der Ankündigung sendet Washington eine klare Botschaft an Moskau: Jegliche Übergriffe auf US-Alliierte sind inakzeptabel. Militärisch verhindert diese Initiative nicht die strategische Überlegenheit Russlands in der Region, setzt aber ein Zeichen der Entschlossenheit des Bündnisses vor dem wichtigen NATO-Gipfel Ende Juli in Warschau, auf dem eine neue strategische Ausrichtung der NATO insbesondere für ihre Südflanke beschlossen werden soll.

In den vergangenen Jahren hatten US-Verteidigungskreise Europa weniger Beachtung geschenkt, da der Kontinent als äußerst stabil galt. Mit dem Ukraine-Konflikt rückte Europa dann aber wieder in den Fokus der geostrategischen und militärischen Aufmerksamkeit der USA. Präsident Obama betonte immer wieder, dass die USA ihren Bündnispflichten nachkommen und Verbündeten im Notfall helfen würden. Dennoch machte sich in einigen Staaten Osteuropas die Befürchtung breit, dass sich die Vereinigten Staaten aus der Region zurückziehen könnten.

Verteidigungsminister Ashton Carter hatte auf seinen jüngsten Europareisen bereits verkündet, US-amerikanische militärische Einrichtungen in Osteuropa ausbauen zu wollen. Im Februar 2016 wurden die ersten Bausteine für die Aufstockung gelegt. In der Haushaltsplanung für das Steuerjahr 2017, das Anfang Oktober dieses Jahres beginnt, sieht US-Präsident Barack Obama eine Erhöhung der Militärausgaben vor. So soll die sogenannte European Reassurance Initiative, die der Präsident im Zuge des Ukraine-Konfliktes einberufen hatte, mit 3,4 Milliarden Dollar ausgestattet werden, was einer Vervierfachung des diesjährigen Budgets entspricht. Die Details zur Verwendung des Betrags wurden vom Pentagon festgelegt. Ob der US-Kongress das von Obama geforderte Budget bewilligt und sich die Pläne umsetzen lassen, ist noch unklar.

Misstrauen gegenüber Putin

Die USA setzen mit ihren Aufstockungsplänen ein Zeichen, dass sie ihre europäischen Alliierten nicht im Stich lassen werden. Zugleich sind diese Pläne ein deutliches Anzeichen für Washingtons Misstrauen gegenüber Wladimir Putin. Kurz vor der Ankündigung bezeichnete Joseph Dunford, Generalstabschef der US Marine Corps, Russland als die wesentlichste und hartnäckigste Sicherheitsherausforderung und warnte vor Russlands konventionellen und digitalen militärischen Fähigkeiten.

Laut Aussagen des US-Oberkommandos European Command (EUCOM) sollen ab Anfang 2017 rund 4.200 Soldaten, 250 Panzer sowie Haubitzen, Kampffahrzeuge und weitere 1.700 zusätzliche Fahrzeuge nach Osteuropa verlagert werden. Außerdem sollen die Streitkräfte der NATO-Partnerländer gefördert und die Infrastruktur entlang der NATO-Ostgrenze ausgebaut werden. Die Brigade soll in verschiedenen Staaten eingesetzt werden. Aufgrund der geografischen Nähe zu Russland kommen Polen, Rumänien, Bulgarien sowie die baltischen Staaten infrage. General Phil Breedlove, NATO-Oberbefehlshaber in Europa, verkündete, dass die zusätzliche Truppenpräsenz ein bedeutender Schritt sei, um den europäischen Verbündeten das militärische US-Engagement in Europa zu versichern. Modernisierte Ausrüstungen und eine kontinuierliche Präsenz sollen den NATO-Partnern ihre Sorgen nehmen.

In derselben Woche, in der das Pentagon seine Pläne offiziell verkündete, forderte Präsidentschaftskandidat Donald Trump, die US-Ausgaben für die NATO zu kürzen, und sorgte damit für heftige Kritik. In Trumps Augen ist das Bündnis „überholt“ und werde „in seiner jetzigen Form“ nicht mehr gebraucht.[1] Trump kritisiert, dass die USA den Löwenanteil der Ausgaben tragen und forderte, dass sich kleinere Bündnispartner stärker beteiligen müssten.

Hohe US-Beamte, wie etwa Verteidigungsminister Ashton Carter und Generalstabschef Joseph Dunford, stufen Trumps Position als verheerend für die Sicherheit Europas und Amerikas ein. Gerade in Zeiten wachsender Spannungen mit Russland und anhaltenden Bedrohungen durch den internationalen Terrorismus, die insbesondere Europa direkt zu spüren bekommt, sei das Bündnis unabdingbar. Auch Trumps stärkster republikanischer Gegenkandidat Senator Ted Cruz betonte, dass ein Rückzug aus Europa ein „großer Sieg“ sowohl für Waldimir Putin als auch den IS wäre. Jorge Benitez vom Atlantic Council machte deutlich, dass Trumps Rechnung nicht aufgehe: „Ohne die NATO würden die USA viel höhere Verteidigungsausgaben und weniger militärische Fähigkeiten haben. […] Donald Trumps Empfehlungen für die NATO offenbaren sein oberflächliches und kindliches Verständnis des Bündnisses.“[2]

Belohnung der Bündnispartner

Die Stationierung einer zusätzlichen Brigade in Osteuropa ist auch eine Art Belohnung der Vereinigten Staaten für diejenigen Bündnispartner, die in den vergangenen Jahren ihren Verteidigungshaushalt auf das von der NATO geforderte Maß erhöht hatten. Die NATO-Richtlinien sehen vor, dass alle Mitgliedstaaten zwei Prozent ihres Bruttoinlandproduktes für Militärausgaben einplanen, was jedoch von vielen insbesondere westeuropäischen Staaten nicht eingehalten wird. Laut NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg arbeite das Bündnis gemeinsam mit den Mitgliedern daran, dass sämtliche Staaten in den kommenden zehn Jahren ihr Verteidigungsbudget anheben, um die vorgeschriebenen zwei Prozent zu erreichen.

Stimmung auf beiden Seiten des Atlantiks

Die amerikanische Öffentlichkeit sieht das Thema gespalten. Laut einer Studie des Pew Research Institutes aus dem Jahr 2015 bewerten nur 49 Prozent der Amerikaner das Bündnis als positiv und landen damit auf dem vorletzten Platz der insgesamt acht NATO-Mitgliedsstaaten, die befragt wurden. Mehr als die Hälfte der befragten Amerikaner befürwortet jedoch einen Militäreinsatz gegen Russland im Falle eines direkten Angriffs auf einen NATO-Verbündeten.[3]

Die Polen stehen dem Bündnis am positivsten gegenüber. Es ist ein altes Anliegen Polens und der baltischen Staaten, eine Neubewertung der Zusammenarbeit zwischen Europäischer Union (EU) und NATO auf europäischer Ebene voranzubringen. In Osteuropa überwiegt der Eindruck, dass die EU kaum auf die fundamentalen geopolitischen Veränderungen an ihrer Ostgrenze im Nachgang der Ukraine-Krise reagiert habe. Nach Ansicht des polnischen Außenministers, Witold Waszczykowski, gäbe es beträchtliche Unterschiede im Sicherheitsgefühl von Bürgern in denjenigen Staaten, die eine gemeinsame Grenze mit Russland haben, gegenüber Ländern wie Deutschland, Frankreich oder Belgien. In anderen mitteleuropäischen Staaten wird die Verstärkung der US-Präsenz zur Kenntnis genommen, einige Länder wie z.B. Tschechien oder die Slowakei lehnen eine dauerhafte Stationierung hingegen ab. Wie groß die Furcht vor Übergriffen ist, und dass entsprechende Vorbereitungen unternommen werden, zeigt sich daran, dass estnische Militärs entsprechende Analysen und Simulationen durchführten. Danach wird befürchtet, russische Truppen könnten  innerhalb nur eines Tages in Tallinn einmarschieren und innerhalb von drei Tagen auch Riga besetzen.

Es ist zu erwarten, dass die amerikanische Entscheidung von Russland zum Anlass genommen wird, ihre Truppen an der Grenze zu Estland und Lettland weiter zu verstärken und die Enklave Kaliningrad zu einer offensiven Militärbasis auszubauen. An den tatsächlichen Kräfteverhältnissen an der NATO-Ostflanke dürfte sich indes kaum etwas ändern, da das Übergewicht russischer Truppen schon heute immens ist. Durch die US-amerikanische Truppenverlegung rückt das Bündnis politisch näher zusammen, was insbesondere den Amerikanern im Vorfeld des NATO-Gipfels ein wichtiges Anliegen ist.

Iris Froeba, Policy Analyst, Transatlantisches Dialogprogramm, Håvard Sandvik, Europareferent, Dialogprogramm Brüssel und Dr. Borek Severa, Repräsentant der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit für Mitteleuropa und Baltische Staaten.