Der amerikanische Präsidentschaftswahlkampf hinterlässt bisweilen ein Gefühl, das von Verwunderung bis Fassungslosigkeit reicht. Vor acht Jahren kristallisierte sich beim damaligen Ringen um den Einzug ins Weiße Haus gerade Barack Obama als Favorit heraus – vielbeachtet auch in Deutschland. Was für ein cooler Typ. Wer erinnert sich nicht an seinen Auftritt in Berlin an einem heißen Tag im Sommer 2008. Gefühlt war halb Berlin auf den Straßen. An diesem Wochenende wird Barack Obama wieder in Deutschland sein und mit Bundeskanzlerin Merkel die Hannover-Messe eröffnen. Und vermutlich werden wieder ziemlich viele Menschen unterwegs sein. Aber nicht für Obama – sondern gegen Freihandelsabkommen wie TTIP, Ceta oder TiSA.
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Wer heute die Suchmaschinen mit Stichworten wie TTIP füttert, bekommt zahlreiche Treffer: So ziemlich alle dagegen. In den Niederlanden droht nach dem Referendum zum Assoziierungsabkommen EU-Ukraine (das auch Freihandelsthemen beinhaltet) ein weiteres zu TTIP. Die Bertelsmann-Stiftung hat in einer Umfrage zum Freihandel ermittelt, dass 56 Prozent der Deutschen ihn für eine gute Idee halten. Immerhin. Aber: Vor zwei Jahren fanden noch 88 Prozent Freihandel gut.
Und täglich grüßt das Chlorhühnchen?
Das Nachrichtenportal Politico zieht daraus den Schluss: Die Deutschen hätten Angst vor der Welt bekommen. Ist es wirklich so, dass die Verhandlungen zu neuen Freihandelsabkommen „nur“ in eine Phase allgemeiner politischer Verunsicherungen geraten sind – die Anti-TTIP-Stimmung insofern eine Art Kollateralschaden ist? Das greift zu kurz. Die Umfrage der Bertelsmann-Stiftung liefert bei der Beantwortung dieser Frage interessante Ergebnisse: Die Deutschen haben Angst vor einer Verschlechterung der Standards, besonders beim Verbraucherschutz. Und sie fühlen sich schlecht informiert. Chlorhühnchen klingt in deutschen Ohren irgendwie eklig. Da geht es um ein sensibles Thema – unser Essen. Das Gefühl, hier die Kontrolle zu verlieren, ist mächtig. Auf die Idee, dass umgekehrt amerikanische Verbraucher nichtgechlorte Hühnchen befremdlich finden, weil sie überall Salmonellen vermuten, kommt man da eher nicht. Und es interessiert den Einzelnen auch nicht. Und ob jetzt wissenschaftliche Untersuchungen für oder gegen die Chlorbehandlung von Hühnerfleisch sprechen, ist auch zweitrangig. Nun muss aber ein Freihandelsabkommen nicht heißen, dass alles gleich wird. Man könnte über Standards diskutieren und daraufhin entscheiden, welche man angleichen möchte und welche nicht. Man könnte sich auf einen freien Handel mit transparenten Kennzeichnungen einigen.
TTIP braucht Transparenz
Das richtige Fundament für all diese Diskussionen liegt im Parlament. Im Deutschen Bundestag aber finden solche Diskussionen nicht statt. Grund dafür ist ein nicht zukunftsfähiges Verständnis von Außenpolitik. Nach der „traditionellen Staatslehre“ ist Außenpolitik das Feld der Exekutive, also der Regierung. Für völkerrechtliche Verträge als Teil der Außenpolitik ist Ratifizierung schon die höchstmögliche Beteiligungsform. Diese Ansicht trägt in vielen Bereichen aber nicht mehr. Die Welt hat sich weitergedreht. Und sie dreht sich in den Zeiten der Digitalisierung noch schneller. Wir haben in Deutschland die Parlamentsrechte im Bereich der „Außenpolitik“ ausgebaut und zwar aus gutem Grund und auf Drängen der Liberalen: Wir haben eine Parlamentsarmee und wir haben eine parlamentarische Beteiligung beim Europäischen Stabilisierungsmechanismus (ESM). Und eben nicht nur am Ende, mit einer Entscheidungsmöglichkeit „Hop oder Top“. Bei der Planung von Auslandseinsätzen werden die Abgeordneten frühzeitig informiert. Beim ESM stehen parlamentarische Entscheidungen schon am Beginn der Verhandlungen über Hilfsprogramme und erfolgen verhandlungsbegleitend. Bei TTIP hingegen gibt es geheimnisumwitterte Verhandlungen und unklare Zuständigkeiten. Den Abgeordneten des Deutschen Bundestages erst nach langen Diskussionen stark begrenzte Einsichtsmöglichkeiten in den Verhandlungsstand zu geben, ihnen dann aber verbieten, darüber zu sprechen, führt die gewünschte demokratische Legitimierung ins Absurde. Und bietet den Gegnern von Freihandel eine Bühne. Das sollte der Deutsche Bundestag ändern und sich Mitwirkungsmöglichkeiten geben, die ihren Namen verdienen. Die neueste Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegt voll auf dieser Linie. In der Entscheidung zur Zulässigkeit des sog. „Treaty Override“ stellt das Gericht klar: Das Demokratieprinzip verlangt, dass völkerrechtliche Verträge durch parlamentarische Entscheidungen jederzeit überschrieben werden können. Diese Stärkung des Demokratieprinzips sollte jetzt in einem klaren Verfahren umgesetzt werden. Um es auf den Punkt zu bringen: Wer später ändern kann, sollte von Anfang an mitwirken.
Ein Freihandelsabkommen wie TTIP ist ein großes, vielleicht ein historisches, auf jeden Fall ein wegweisendes Projekt. Für Europa und die transatlantischen Beziehungen geht es um viel mehr als um ein Wirtschaftsabkommen. Der Fokus der Vereinigten Staaten in der Außen- und Sicherheitspolitik ist schon jetzt in Richtung Asien gewandert. Ein Ergebnis des „Asian pivot“ der Regierung Obama auch in der Wirtschaftspolitik ist die Unterzeichnung des Freihandelsabkommens Transpazifische Partnerschaft (TPP) zwischen den USA und 11 weiteren Pazifikanrainern. Deshalb: Nutzen wir die noch bestehende Chance, um die TTIP-Verhandlungen noch unter der Präsidentschaft Obamas zum Abschluss zu bringen. Auch wenn es vielleicht merkwürdig klingt: Wir brauchen jetzt den Spirit von Hannover.
Annett Witte, Liberales Institut, FNST