
Die Anschläge vom 11. September 2001 hinterließen tiefe Wunden in Amerika und haben die Überwachungs- und Sicherheitspolitik sowie das Denken und Handeln der Amerikaner einschlägig geprägt. Um eine solche Tragödie nie wieder erleben zu müssen, wurden den Geheimdiensten vom Kongress weitreichende Handlungsspielräume im Kampf gegen den internationalen Terrorismus eingeräumt. Auf Grundlage des Abschnitts 215 des USA Patriot Act hat die National Security Agency (NSA) über Jahre hinweg massenhaft Telefon- und Internet-Metadaten von US-Bürgern systematisch gespeichert.
Die Enthüllungen des früheren NSA-Mitarbeiters Edward Snowden über ebendiese Überwachungspraktiken haben auf beiden Seiten des Atlantiks hohe Wellen geschlagen und für Misstrauen gegenüber den US-Geheimdiensten gesorgt. Anders als wir es in Europa oft wahrnehmen, wird die Debatte um die Geheimdienstreformen in den USA sehr intensiv geführt. In den USA stehen aber nicht nur die Geheimdienste wegen ihrer Überwachungspraktiken in der Kritik. Es wird auch über die Abhörpraktiken inländischer Strafverfolgungsbehörden, wie z.B. die des FBI, diskutiert. Amerikanische Polizeibehörden fordern seit langem, dass Hersteller von Smartphones und Computern so genannte Backdoors, also beabsichtigte Sicherheitslücken, in ihre Geräte einbauen, um jederzeit die Möglichkeit zu haben, im Rahmen von Ermittlungen auf Endgeräte zuzugreifen. Branchenriesen wie Microsoft und Apple lehnen die geforderte Einrichtung vonBackdoors vehement ab und arbeiten seit den Snowden-Enthüllungen verstärkt an verbesserten Sicherheitsstandards in Form von Datenverschlüsselung.
Auch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), demzufolge das Safe-Harbor-Abkommen zum Austausch von Daten zwischen den USA und der EU für ungültig erklärt wurde, zeigt, dass die Snowden-Enthüllungen nicht nur zum Misstrauen gegenüber Geheimdiensten führten. Mit seiner Entscheidung hat der EuGH deutlich gemacht, dass die Grundrechte auf Privatsphäre und Datenschutz nicht nur innerhalb Europas gelten, sondern auch bei internationalen Datentransfers beachtet werden müssen. US-Datenschutzexperten merken an, dass die Entscheidung den europäischen Unmut gegenüber der US-Regierung widerspiegelt.
Auf unternehmerischer Seite löste die Entscheidung große Ungewissheit aus, da das Urteil keine Übergangsfrist für den Datenverkehr vorsah. Daher stand die Politik unter Handlungsdruck, einen Safe-Harbor Nachfolger auszuhandeln. Bei der Vorstellung der Grundzüge des Nachfolgers mit dem Namen EU-US Privacy Shield betonten die EU-Kommissare Jourová und Ansip, dass europäische Unternehmen künftig mehr Rechtssicherheit hätten, wenn sie Daten in die USA transferierten. Der neue Vertrag sichere die Grundrechte der europäischen Bürger. Erstmals überhaupt gebe es eine bindende Zusicherung der US-Regierung, dass US-Behörden nur bei Einhaltung klarer, überprüfbarer Bedingungen aus Gründen der nationalen Sicherheit auf Daten europäischer Bürger zugreifen könnten. Doch in Brüssel hat die EU-Kommission, die denPrivacy Shield eigentlich bereits im Juni dieses Jahres verabschieden wollte, Probleme, den nötigen Rückhalt für den Vertrag zu bekommen. Die Mitglieder des Artikel-31-Ausschusses, der darüber urteilt, ob das Datenschutzniveau in den USA mit dem europäischen vergleichbar ist, konnten sich über eine Freigabe des Abkommens bisher nicht einigen.
Die Terroranschläge in Europa und die Schießerei in San Bernardino, die vom FBI als Terrorakt eingestuft wurde, haben die Debatte über die Überwachungspraktiken der Geheimdienste erneut entfacht. Diese Debatte ist emotionsgeladen und spaltet Politik und Öffentlichkeit entlang von persönlichen Werten und der Interpretation der Begriffe Freiheit und Sicherheit. In der Tat gibt es ein unterschiedliches Verständnis von Amerikanern und Europäern im Bereich des Datenschutzes. Das Recht auf Privatsphäre ist in Europa fest in der EU-Grundrechtecharta verankert. Auch in Europa streben die Bürger nach Sicherheit, doch wird die Datenschutzdebatte im Vergleich zu den USA lauter geführt. In den Vereinigten Staaten steht man den Eingriffen in die Privatsphäre durch Behörden zwar zunehmend misstrauisch gegenüber, der Wunsch nach Sicherheit überwiegt jedoch. Die Anschläge vom 11. September haben tiefe Wunden hinterlassen, die noch nicht verheilt sind. Zu behaupten, die Amerikaner stünden den Überwachungspraktiken der Geheimdienste gleichgültig gegenüber, wäre jedoch nicht richtig. Seit der Snowden-Affäre wurde immer wieder mit dem Zeigefinger auf die USA und ihre Geheimdienste gezeigt. Doch die Überwachung durch Behörden ist kein rein amerikanisches, sondern ein globales Problem.
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Iris Froeba ist Policy Analyst und Media Officer im Transatlantischen Dialogprogramm der Stiftung für die Freiheit mit Sitz in Washington, DC.