NATO-Gipfel in Warschau – “Action or Talk Only”?

Quelle: Pixabay
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Europa ist krisengeschüttelt: Flüchtlingskrise, Kampf gegen den Terrorismus, gespanntes Verhältnis zu Russland – all das hat mit Sicherheitspolitik zu tun. Der NATO kommt als stärkstes Militärbündnis der Welt daher eine besondere Rolle zu: Es ist die Rückversicherung für gleich 26 europäische Länder, auch und gerade mit Blick auf den zunehmenden Machtanspruch Russlands in Zentral- und Osteuropa.

Vor drei Jahren tagten die Bündnispartner in Wales, wo nach Jahren des „Nation Building“ und der Terrorismusbekämpfung in Afghanistan plötzlich die traditionelle Abschreckungsrolle wieder auf die Agenda kam. Anlass hierfür waren vor allem Befindlichkeiten der östlichen Bündnispartner, die Russlands Rolle in der Region beunruhigte. Drei Jahre später ist das Bündnis tatsächlich stärker geworden, sind die Mitglieder in Ost und West näher aneinander gerückt und stellen sich gemeinsam auch neuen Herausforderungen wie der Bekämpfung des sog. „Islamischen Staats“ (IS), der Anschläge in zwei europäischen Hauptstädten verübt hat, und der Bewältigung der Flüchtlingskrise. All das gibt der NATO neues Leben. Unter Berücksichtigung dieser neuen Herausforderungen kommt dem NATO-Gipfel in Warschau am 8. und 9. Juli 2016 eine besondere Rolle zu: Er darf nicht zu einem „No Action, Talk Only“-Gipfel werden, sondern muss die Handlungsfähigkeit der Allianz unter Beweis stellen.

Erfolgsgipfel Wales 2013

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Quelle: FNF Europe

In den drei Jahren nach dem Wales-Gipfel hat die NATO Entschlossenheit zum gemeinsamen Handeln gezeigt. Nach dem „Rapid Action Plan“ wurde eine neue NATO-Brigade geschaffen, ungefähr 5000 Soldaten, die zu Land, zu Wasser und in der Luft, innerhalb von 24 Stunden überall im NATO-Gebiet einsetzbar sind. Eine solche schnelle Eingreiftruppe gab es seit dem Fall des Eisernen Vorhangs nicht mehr. Die Brigade wird von fünf „National Forces Integration Units“ (NFIUs) begleitet, mit Stützpunkten im Baltikum, Polen, Rumänien und Bulgarien, um schnell und flexibel auf mögliche Aggressionen aus dem Osten reagieren zu können. Obwohl es sich bei der NFIUs nicht um permanent stationierte NATO-Truppen handelt, erfüllen die NFIUs eine wichtige symbolische Vorhutfunktion, ähnlich den US-Truppen früher in West-Berlin. Die östlichen Bündnispartner, namentlich Polen und die baltischen Staaten, wünschten sich zwar ursprünglich eine permanente Stationierung von NATO-Truppen in der Region, stehen aber auch mit dem neuen Abschreckungssystem wesentlich stärker da als noch vor drei Jahren.

Eine interne Herausforderung, so alt wie das Bündnis selbst, sind sinkende Verteidigungsausgaben, vor allem in Europa. Seit dem Gipfel von Wales ist jedoch eine Umkehr dieses Trends zu beobachten. In Wales versprachen sich die NATO-Mitglieder wechselseitig, die Verteidigungsausgaben nicht weiter zu kürzen, sondern künftig (mindestens) ein Prozent des BIPs in Verteidigung zu investieren. Mitteleuropäische Bündnispartner legten in den letzten Jahren im Verteidigungsbereich deutlich zu, sogar Deutschland kündigte kürzlich eine Erhöhung des Verteidigungsetats an. Ob die neuen Verteidigungsausgaben jedoch sinnvoll, also den neuen Herausforderungen entsprechend, eingesetzt werden, ist nicht sicher. In Deutschland sowie in anderen Bündnisländern dienen die erhöhten Ausgaben vor allem der zivilen Administration, traditionellen Truppenverbänden und der jeweiligen nationalen Rüstungsindustrie.

Erwartungen an Warschau

Damit das volle Potenzial des Bündnisses genutzt werden kann, müsste sich die NATO künftig mehr dem Kapazitätsaufbau, vor allem zur See, aber auch der Bekämpfung von Terrorismus widmen. Nach den Anschlägen von Paris und Brüssel ist IS-Terror in Europa nicht mehr nur ein Szenario, sondern Realität geworden. Seit mehr als 15 Jahren stellt der Kampf gegen Terrorismus, vor allem gegen radikale Islamisten, einen der NATO-Schwerpunkte dar. Die NATO hat nicht nur wichtige Überwachungs- und Geheimdienstkapazitäten, sondern ihre Struktur ermöglicht den Mitgliedern auf beiden Seiten des Atlantiks darüber hinaus einen ständigen Austausch über die Sicherheitslage im Bündnisraum: NATO-Botschafter treffen sich mindestens einmal pro Woche, um über die Sicherheitslage zu beraten.

Die porösen Grenzen im Mittelmeerraum, sowohl auf europäischer als auch auf nordafrikanischer Seite, machen sich Schlepperbanden zu Nutzen. Auch hier könnte der NATO eine neue Rolle zuwachsen. Die NATO unterstützt bereits die Grenzpatrouille in der Ägäis zwischen den Bündnispartnern Türkei und Griechenland, aber das Bündnis könnte auch gemeinsame Marineeinsätze im gesamten Mittelmeer gut koordinieren, wie z.B. zwischen Libyen und Italien. Die Maghreb-Staaten könnten auch vom NATO-Erfahrungsschatz bei Reformen des Sicherheitssektors profitieren.

In beiden Fällen müsste die NATO enger mit der EU zusammenarbeiten. 22 Mitgliedstaaten der EU sind auch Mitglieder in der NATO. In Europa führte erst der zunehmend militaristische Kurs Vladimir Putins zu einem stärkeren gemeinsamen Handeln. Die russische Annexion der Krim ließ die neutralen EU-Mitglieder Schweden und Finnland die Nähe zur NATO suchen. Künftig müssten sich die NATO und die EU aber institutionell besser abstimmen, gemeinsame Schwerpunkte festlegen oder Aufgaben verteilen (z.B. Cybersecurity, Schutz kritischer Infrastruktur, Terrorabwehr etc.). Der US-amerikanische NATO-Botschafter Douglas Lute wie auch sein deutscher Botschafterkollege Hans-Dieter Lucas betonten kürzlich, dass die NATO hierzu bereit sei und der Ball im Feld der EU läge.

„Action or Talk Only“?

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Quelle: FNF Europe

Der NATO-Gipfel in Warschau, dem ehemaligen Sitz der jahrzehntelangen “gegnerischen“ Allianz Warschauer-Pakt, wird vor allem dem Zweck dienen, Solidarität und Geschlossenheit des Bündnisses zu demonstrieren. In Wales wurden vor drei Jahren die Sorgen der östlichen Alliierten aufgenommen, sodass die Kluft zwischen Ost und West mittlerweile weitgehend überwunden wurde.

In Warschau muss das Bündnis nun den neuen Zusammenhalt nutzen, um im Mittelmeer stärker präsent zu sein. Vor allem im Hinblick auf den Kapazitätsaufbau zu See sollte der Warschauer-Gipfel die Initiative ergreifen. Diese Rolle wird aber nur zum Erfolg, wenn EU und NATO in der Region enger zusammenarbeiten. Ein gutes Zeichen in dieser Hinsicht ist die geplante Anwesenheit von führenden Köpfen der EU am Warschauer Gipfel, sowie die Teilnahme des NATO-Generalsekretärs an dem bevorstehenden EU-Ratsgipfel im Juni.

Das alte Dogma der NATO „keep the Americans in, the Germans down and the Russians out“ würde man heutzutage vielleicht besser so ausdrücken: “keep the Americans and the Germans in, the Terrorist down and the Russians out”. Die NATO bleibt, neben der EU, die wichtigste Institution, um die größten Herausforderungen Europas transatlantisch anzugehen. „No Action, Talk Only“ würde deshalb in Warschau für viel Enttäuschung sorgen, und zwar auf beiden Seitens des Atlantiks.

Håvard Sandvik ist europapolitischer Referent der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Brüssel.