
Das U.S.-amerikanische Bildungssystem hinkt im internationalen Vergleich hinterher. In der jüngsten PISA-Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) haben die Vereinigten Staaten in den Bereichen Lesekompetenz und Naturwissenschaften nur durchschnittlich abgeschnitten – im Bereich Mathematik sogar unterdurchschnittlich. Um amerikanische Schülerinnen und Schüler besser auf das Studium an einer Hochschule oder den Eintritt in den Arbeitsmarkt vorzubereiten, tauschen immer mehr Schuldistrikte das traditionelle „one-size-fits-all“ Schulsystem gegen personalisierte Lehrmethoden ein. Da es auf Ebene der Bundesstaaten sowie der Schuldistrikte unterschiedliche Gesetze und Richtlinien gibt, ist dies keine leichte Aufgabe. Jeder Schuldistrikt muss das beste Rezept für seine Schulen finden. Und das kann nur mit mehr Autonomie und Flexibilität gelingen.
In den USA besuchen rund 90 Prozent der Schülerinnen und Schüler öffentliche Schulen, die aus Steuergeldern sowie Zuschüssen der U.S.-Regierung finanziert werden. Zudem gibt es Privatschulen, Charter Schools, die zwar öffentliche Mittel erhalten, von staatlichen Verordnungen und Vorschriften jedoch weitestgehend befreit sind, sowie die Möglichkeit des „Home Schooling“. Im Gegensatz zu Deutschland sind die weiterführenden Schulen in den USA nicht in Gymnasium, Real- und Hauptschule gegliedert. Alle Schülerinnen und Schüler besuchen nach der Grundschule zunächst dieMiddle School und dann die High School.
Zwar erlässt die U.S.-Regierung Rahmengesetze, wie etwa den Ende 2015 verabschiedeten Every Student Succeeds Act[1], die eigentliche Entscheidungsgewalt bei schulpolitischen Fragen liegt aber bei den Schulbezirken. Die müssen sich wiederum an den Gesetzen und Richtlinien der Bildungsministerien der jeweiligen Bundesstaaten orientieren. Deshalb gibt es in den fünfzig Bundesstaaten unterschiedliche Gesetze und in den landesweit fast 15.000 Schuldistrikten unterschiedliche Richtlinien, Schulsysteme und Lernzielvorgaben.
In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sich im U.S.-Bildungssystem viel bewegt. Die Bundesstaaten und Schuldistrikte verfolgen verschiedene Ansätze mit dem Ziel, moderne und wettbewerbsfähige Schulsysteme zu entwickeln. Neben der Integration von neuen Technologien im Klassenzimmer gewinnt das so genannte personalisierte Lernen immer mehr an Bedeutung. Beim personalisierten Lernen sollen die Lehrinhalte besser an die Bedürfnisse, Stärken und Interessen des Einzelnen angepasst werden.
Kompetenzbasiertes Lernen statt Zeit absitzen
An den meisten öffentlichen Schulen in den USA wird der Lernfortschritt der Schülerinnen und Schüler anhand der zeitbasierten Maßeinheit Carnegie Unitermittelt. Eine Carnegie Unit steht für 120 Unterrichtsstunden in einem Fach. Die Maßeinheit steht zunehmend in der Kritik, da nicht das Aneignen von Kompetenzen, sondern das Sammeln von Stunden im Vordergrund steht. Beim kompetenzbasierten Lernen hingegen wird der Lernerfolg daran gemessen, wie gut die Lerninhalte vom einzelnen Schüler beherrscht werden. Erst wenn die Schüler ihre Kompetenzen erfolgreich unter Beweis stellen, geht es mit der nächsten Lektion weiter. Die Schülerinnen und Schüler erhalten mehr Eigenverantwortlichkeit, indem sie sich ihre Kompetenzen auch außerhalb des Klassenzimmers aneignen können. Damit niemand auf der Strecke bleibt, gibt es individuelle Hilfestellungen von Seiten der Lehrerinnen und Lehrer, die eine unterstützende anstatt einer belehrenden Funktion einnehmen. Um dieses Lernsystem erfolgreich umzusetzen, müssen Barrieren – wie etwa Gesetze und Vorschriften, die die Carnegie Unit als Maßeinheiten vorschreiben – beseitigt werden. Die Schuldistrikte und Schulen benötigen mehr Autonomie und Flexibilität.
In 42 der 50 Bundesstaaten gibt es Vorstöße, um das kompetenzbasierte Lernen an amerikanischen High Schools zu integrieren. In einigen Staaten wie Oregon, Ohio und Vermont wurden die Bildungsgesetze auf Bundesstaatenebene so weit angepasst, dass die Schuldistrikte relativ autonom agieren können. Der Bundesstaat Oregon hat hier eine Vorreiterrolle eingenommen. Seit 2002 kann der Lehrkörper in Oregon den Lernfortschritt der Schüler anhand ihrer erlernten Kompetenzen und nicht anhand der absolvierten Stundenanzahl anrechnen. Die Schülerinnen und Schüler können ihr Wissen auf dem klassischen Weg unter Beweis stellen, indem sie Aufgaben und Tests zur Einschätzung ihrer Kompetenzen im oder außerhalb des Klassenzimmers erfolgreich absolvieren. Sie können aber auch andere Arbeitsproben einreichen oder aber nachweisen, dass sie ihre Kompetenzen in einem bestimmten Fach durch frühere Lernaktivitäten oder gesammelte Erfahrungen bereits erworben haben. Auch in Alaska und Utah können sich Schüler seit 2015 von bestimmten Unterrichtsfächern befreien lassen, wenn sie einen Kompetenztest erfolgreich bestehen. Andere Staaten wie etwa New Mexico, Texas und New York machen es den Schuldistrikten nicht ganz so einfach. Doch auch hier gibt es trotz strikterer Gesetze die Möglichkeit, das kompetenzbasierte Lernen anzubieten.
Mehr Flexibiliät für Schulen durch „Innovation Zones“
Das bildungspolitische Konzept der Innovation Zones zielt darauf ab, innovative Lehrmodelle zu fördern und den Weg für das kompetenzbasierte Lernen freizumachen. Schuldistrikte in Bundesstaaten, deren Bildungsgesetze die Autonomie der öffentlichen Schulen einschränken, können einen Innovationsplan beim Bildungsministerium einreichen, um von bestimmten Verwaltungs- und Rechtsvorschriften befreit zu werden – ähnlich den Charter Schools.
In New York City sorgt die „iZone“[2] dafür, dass Schulen selbstständiger handeln können, um den individuellen Bedürfnissen ihrer Schülerinnen und Schüler entgegenzukommen. Mit 300 teilnehmenden Schulen gilt die New Yorker „iZone“ als stärkste Innovationszone im ganzen Land. Die Schulen der „iZone“ setzen neue Technologien ein, um das personalisierte, kompetenzbasierte Lernen im Klassenzimmer und auch nach Schulschluss zu fördern. Den Lehrerinnen und Lehrern werden das passende Handwerkszeug und die nötige Flexibilität bei der Gestaltung des Unterrichts gegeben. Die „iZone“ bringt aber auch Pädagogen mit Technologie-Start-ups zusammen, um einen gegenseitigen Austausch zu ermöglichen und immer auf dem neusten Stand bezüglich neuer Technologien zu bleiben.
Iris Froeba ist Policy Analyst und Media Officer im Transatlantischen Dialogprogramm der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit mit Sitz in Washington, DC.
[1] Das Gesetz soll den Einfluss der Bundesebene auf das Schulwesen weiter einschränken.