
Pünktlich zu den Frühstücksnachrichten stand das Wahlergebnis fest und ungläubig starrten vielerorts Europäer auf ihr Smartphone oder den Fernsehbildschirm. Was keiner so richtig erwartet hatte oder wollte, war plötzlich Realität – Donald Trump als neuer Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Dabei hatte der Kontinent erst im Juni einen ähnlichen Morgen erlebt, als man in Brüssel, Berlin, Paris und Warschau zum Brexit aufgewacht war.
Wie zu erwarten, dominiert die Wahl Donald Trumps alle großen europäischen Medien und ihre Onlineauftritte. Man schaut verunsichert auf die transatlantischen Beziehungen – Handel, Sicherheitspolitik, Finanzwirtschaft – und versucht, Erklärungen zu finden, für das, was da auf der anderen Seite des Atlantiks passiert ist und auch in der direkten Nachbarschaft droht – der Sieg der Populisten.
Populisten im Aufwind?
So warnt etwa ein Kommentar auf der Webseite von Le Monde, Trumps Sieg werde ein weltweites Erdbeben auslösen und populistische Bewegungen und ihre Anführer stärken. Die griechische Zeitung Kathimerini spricht von Wahlen der Angst und Entzweiung und im Onlineauftritt der italienischen La Reppublica heißt es, Trump habe die Schlüsselstaaten, Florida, North Carolina, Ohio „verführt“. Die niederländische De Tijd schreibt auf ihrer Webseite: „Er hat den richtigen Nerv getroffen. Seine Kampagne drehte sich um Populismus, Hypernationalismus, Xenophobie und das allgemeine Misstrauen gegenüber Fakten und der Wahrheit.“ Eine unzufriedene Mehrheit, die sich nicht mehr vertreten fühle, sei bereit gewesen, es trotz Trumps Charakters darauf ankommen zu lassen.
In der Onlineausgabe der slowakischen Tageszeitung Denník SME übt die Chefredakteurin Beata Balogová scharfe Kritik am neu gewählten Präsidenten: „Trump macht aus Amerika eine grauenhafte Reality-Show“, schreibt sie und fürchtet, Trumps Politik werde Chaos stiften. Ähnlich schockiert zeigt sich auch der belgische Le Soir, wo ein Online-Kommentar folgenden Titel trägt: „Nach dem Sieg Donald Trumps – eine Welt bricht zusammen“. So dachten wohl auch Europas Populisten und kurz nach dem Bekanntwerden des Wahlergebnis tweetete Florian Philippot, einer der Vizepräsidenten des französischen Front National, „Ihre Welt bricht zusammen. Unsere ist im Entstehen.“
Unsicherheit über Trumps Politik

Doch was für eine Welt soll das sein? Was steht den USA nun bevor? Mit dieser Frage befassen sich eine Reihe von Artikeln. Die USA und die gesamte Welt beträten mit der Wahl Trumps „unbekanntes Terrain“, so Joan Faus für El País online. Die Onlineausgabe des britischen Telegraph macht sich an eine Vorhersage über die ersten hundert Tage der Trump-Präsidentschaft. Trump habe klargemacht, er wolle ab dem ersten Tag kriminelle Einwanderer abschieben, das transpazifische Handelsabkommen TIPP nicht umsetzen und verschiedene Verfügungen Präsident Obamas aufheben – zuallererst die Gesundheitsreform „Obamacare“.
Auf die Unsicherheit, was auf die Wahl Trumps folgt, geht auch die Webseite des österreichischen Standard ein, die auf die weltweiten Finanzmärkte blickt. Denn obwohl Trump so einiges mitbrächte, was Börsianer schätzten – Steuersenkungen, Deregulierung des Finanzmarkts, Rückbau des Staats – vertieften sich die Sorgenfalten aufgrund von Trumps Unberechenbarkeit. Auch die zukünftig fehlende Balance zwischen dem Weißen Haus und dem Kongress sei ein Unsicherheitsfaktor.
In Irland folgt nach dem Brexit-Votum nun mit der Wahl Trumps ein weiterer Schock. So fürchtet Cliff Taylor in der Onlineausgabe der Irish Times eine mögliche Abwanderung von multinationalen Unternehmen zurück in die USA, was einen der größten „selling points“ Irland zu nichte machen könne, die niedrige Unternehmenssteuer.
Osteuropäer fürchten um Europas Sicherheitsarchitektur
Auf dem Onlineauftritt von Le Monde heißt es „(d)ie amerikanische Präsidentschaftswahl vom 8. November 2016 bedeutet eine dramatische Änderung der Sicht Washingtons auf die Welt sowie der Sicht der Welt auf die USA.“ Diese Befürchtung spiegelt sich in mehreren Medien wieder.
So ist im größten litauischen Nachrichtenportal delfi.lt von „großen und schlechten Nachrichten für die Baltischen Staaten“ die Rede. Wie stehe es nun um die litauische Sicherheit, wo in den USA ein Präsident an die Macht kommt, der die Bündnisverpflichtungen der USA in Frage stellt? Auch die tschechischen Nachbarn zeigen sich besorgt. Dort schreibt die Onlineversion des Handelsblatts Hospodářské noviny Putin könne sich zufrieden zeigen. Mit Trump als Präsidenten in den USA würde es für Putin leichter, sein sowjetisches Imperium wieder auferstehen zu lassen. Es sei grauenhaft, nicht zu wissen, was nun mit der NATO passieren werde. Die ungarische liberale Onlineplattform 444.hu ist empört: Trump habe die NATO und EU schlechtgemacht und damit die zwei Garanten des europäischen Friedens attackiert. Der größte Wandel in der Geschichte seit dem Zweiten Weltkrieg könne uns nun bevorstehen.
Mit dem Ergebnis leben lernen
Doch neben den Horrorszenarien zeigen einige Medien auch Pragmatismus oder sogar offenen Optimismus. Die britische Boulevardzeitung Daily Mailetwa hofft auf ihrer Webseite, der Sieg Trumps könne den post-Brexit Handelsbeziehungen des Landes Auftrieb verleihen, da sich Trump offen für ein Handelsabkommen mit Großbritannien gezeigt habe. Der Korrespondent der polnischen Zeitung Gazeta Wyborcza,Tomasz Bielicki, warnt, dass Panikmache nichts helfe. Europa brauche nun eben eine stärkere Zusammenarbeit in Verteidigungsfragen und Polen brauche stärkere Beziehungen nach Berlin und Paris.
Die Schweizerische Neue Züricher Zeitung befasst sich in ihrer Onlineversion mit der Repatriierung der Gewinne amerikanischer Unternehmen aus dem Ausland – der Sorge Irlands – aus einem positiven Blickwinkel: „Man stelle sich vor: Der neue Präsident und der Kongress einigten sich in dieser Frage rasch und bescherten dem Staat unverhoffte Steuereinnahmen, die in die Bildung, die Forschung und die Infrastruktur gesteckt werden könnten! Was für ein Start das wäre für den 45. US-Präsidenten und den 115. US-Kongress!“ Doch zeigt sich das Blatt durchaus auch vorsichtig, denn „(w)elche Person Trump tatsächlich ist, werden die kommenden Wochen und Monate zeigen. Bis dahin lautet die große Frage, inwiefern sich der Kandidat Trump und der Präsident Trump voneinander unterscheiden werden.“
Im belgischen Le Soir versucht Kommentator Christophe Berti, aus den US-Wahlen eine Lektion für Europa zu ziehen: „In Europa ist eine Bestandsaufnahme dringend nötig.“ Das sei gerade jetzt der Fall, wo der Populismus auf dem Vormarsch sei und sich im Brexit-Referendum, der Wahl in den USA oder anderweitig ausdrücke. Ebenso versucht auch der Präsident der Europäischen Liberalen Partei ALDE, Hans van Baalen, den Wahlausgang pragmatisch zu sehen: “Wir müssen lernen mit ihm zu leben”, sagt er im niederländischen Telegraaf.