Transatlantik Konferenz 2017: Kanada – ein Mosaik feiert Geburtstag

(Quelle: Wikimedia Commons Public Domain)

In diesem Jahr wird Kanada 150 Jahre jung – damit ist das zweitgrößte Land der Erde nur 59 Jahre älter als sein Staatsoberhaupt, Königin Elisabeth II. Kanada ist zudem eines der beliebtesten Ziele für Auswanderer aus der ganzen Welt. Jedes Jahr verlassen rund eine Viertelmillion Menschen ihre Heimat, um in den Weiten Kanadas ihr Glück zu finden.

Die kulturelle Vielfalt des Landes spiegelt sich in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens wider. Neben der offiziellen Zweisprachigkeit ist der Multikulturalismus ein besonderes Merkmal der kanadischen Identität. 1971 bekannte sich Kanada als erstes Land der Welt zu einer offiziellen Multikulturalismuspolitik. Siebzehn Jahre später verabschiedete die kanadische Regierung das Multikulturalismusgesetz, nach dem jedem kanadischen Bürger ungeachtet seiner Herkunft die gleichen Möglichkeiten eingeräumt werden sollen. Das nordamerikanische Land ist stolz auf seine Einwandererkultur und das kanadische Einwanderungsgesetz gilt als Vorbild für andere Länder. Was ist das Erfolgsrezept der Kanadier?

Auf der Transatlantik-Konferenz des Transatlantischen Dialogprogramms der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, die in diesem Jahr in Kanadas Hauptstadt Ottawa stattfand, unternahm Greg Fergus, Mitglied des kanadischen Unterhauses für den Wahlbezirk Hull-Aylmer, den Versuch, den Teilnehmern die vielfältigen Dynamiken des Landes näherzubringen.

Mit der Aussage „Kanada ist abnormales Land“ sorgte Lucien Bouchard, Gründer der separatistischen Partei Bloc Québécois, vor einigen Jahren für Furore. Doch Greg Fergus von der Liberalen Partei Kanadas (LPC) stimmt dem Separatisten zu: „Kanada ist tatsächlich ein abnormales und ungewöhnliches Land.“ Um dies zu verstehen müsse man einen Sprung in die Vergangenheit des Landes wagen.

Ende des 15. Jahrhunderts reiste der italienische Entdecker Giovanni Caboto unter englischer Flagge – und unter dem anglisierten Namen John Cabot – nach Kanada und nahm Teile von Neufundland für Großbritannien in Besitz. Es dauerte nicht lange, bis auch die Franzosen den Atlantik überquerten. 1534 reklamierte der französische Entdecker Jacques Cartier das Gebiet um die Mündung des Sankt-Lorenz-Stroms für Frankreich und taufte es „La Nouvelle-France“ (dt. Neufrankreich). In den ersten Jahren der Kolonisierung lebten britische und französische Siedler relativ friedlich nebeneinander. Auch mit den Ureinwohnern Kanadas, den „First Nations“, arbeitete man zusammen, statt sie zu vertreiben. „Ohne die Hilfe der First Nations hätten die Europäer die kalten Winter in Kanada niemals überlebt. Man war aufeinander angewiesen“, erläutert Fergus.

Doch das friedliche Zusammenleben sollte nicht von Dauer sein: Im Siebenjährigen Krieg (1754-1763) kämpften die Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich, unterstützt von ihren jeweiligen indianischen Verbündeten, um die Vorherrschaft in Nordamerika. Der Pariser Frieden von 1763 besiegelte das Ende der französischen Kolonialherrschaft in Nordamerika. Damit war ganz Nordamerika – außer den beiden winzigen Inseln Saint-Pierre und Miquelon südlich von Neufundland – in britischer Hand.

Teilnehmer der Transatlantik Konferenz im kanadischen Parlament. (Quelle: FNF)

Anfang des 19. Jahrhunderts spitzten sich die Spannungen zwischen den neu gegründeten Vereinigten Staaten von Amerika und dem Vereinigten Königreich zu und endeten im Britisch-Amerikanischen Krieg (1812-1815), in dem US-Amerikaner gegen Soldaten aus den britischen Kolonien Ober- und Unterkanada kämpften. Nach Friedensschluss sollte es weitere fünfzig Jahre dauern, bis die Kanadier ihren eigenen Staat bekamen. Im Jahre 1867 gründeten drei britische Kolonien das „Dominion of Canada“, um US-amerikanischen Expansionsbestrebungen ein Ende zu setzen. Damals trat auch das kanadische Verfassungsgesetz in Kraft, das das Parlament befugt, Gesetze für den „Frieden, die Ordnung und eine gute Regierungsführung“ zu erlassen, solange es dabei nicht in die Gesetzgebungskompetenz der Provinzen eingreift.

Die Kleinstadt Ottawa wurde von Königin Victoria zur Hauptstadt Kanadas ernannt. Hierfür waren zwei Gründe ausschlaggebend: Erstens lag die Stadt im Gegensatz zu Toronto nicht direkt an der amerikanischen Grenze und bot besseren Schutz vor den Amerikanern. Zweitens lag Ottawa zwischen dem englischsprachigen Oberkanada und dem französischsprachigen Unterkanada. Damit war bereits die Gründung der Hauptstadt ein Kompromiss zwischen zwei verschiedenen Interessengruppen.

Schlüsselwort Kompromiss

Es kommt daher nicht von Ungefähr, dass der Begriff Kompromiss eine ganz besondere Rolle für Kanada spielt. „Wenn es irgendetwas ‚Urkanadisches‘ gibt, dann ist es die Idee, Kompromisse zu schließen und miteinander auszukommen. Sie gehört zum Grundverständnis der Kanadier“, verdeutlicht Fergus. Dies leitet sich bereits aus den klimatischen Bedingungen Kanadas ab: „Du kannst die stärkste und reichste Person der Welt sein, aber wenn du nicht dazu bereit bist, mit deinen Nachbarn zusammenzuarbeiten, dann wirst du es nicht schaffen.“ Diese Grundeinstellung hätten bereits die europäischen Siedler an den Tag gelegt. Um in einem hochgradig fremden Land überleben zu können, waren sie auf die Hilfe der Ureinwohner angewiesen. Aus demselben Grund hätten auch die Briten die Franzosen nicht aus dem Land verjagt, nachdem sie im Siebenjährigen Krieg gewonnen hatten. Stattdessen verabschiedete das britische Parlament den „Québéc Act“, der das französische Rechtssystem („code civil“), die Religionsfreiheit sowie die französische Sprache und Kultur in Teilen Kanadas anerkannte. Darüber hinaus wurden den „First Nations“ Rechte auf ihre Siedlungsgebiete zugestanden.

Seitdem die ersten europäischen Siedler im frühen 16. Jahrhundert kanadischen Boden betraten, übten sich die Kanadier also immer wieder darin, Kompromisse zu finden. „Es entstammt dieser Zeit, dass der Begriff ‚Kompromiss‘ tief in unserer Mentalität verankert ist“, erklärt Fergus.

Kanada, ein Mosaik

Mit dem Bau einer transkontinentalen Eisenbahnlinie wurde Ende des 19. Jahrhunderts das gesamte Gebiet zwischen Atlantik- und Pazifikküste erschlossen. Mit rund 36 Millionen Einwohnern ist Kanada nur sehr dünn besiedelt (3,6 Einw./km²). Aus diesem Grund hat das Land immer schon gezielt Einwanderer angeworben, um die Weiten Kanadas zu besiedeln. Auf Einwanderungswellen aus Europa im 19. und frühen 20. Jahrhundert folgten Ströme von den karabischen Inseln und aus Asien. „Eine Einwandererwelle nach der nächsten kam in Kanada an. Wir haben alle integriert und mit ihnen Kompromisse geschlossen“, kommt Fergus erneut auf das kanadische Narrativ zu sprechen. Kanada sei kein Schmelztiegel wie die USA, sondern ein Mosaik. So könnten Einwanderer ihre kulturellen Traditionen bewahren und gleichzeitig die Dynamik des Landes positiv beeinflussen.

„Wenn ein Québécer Separatist also sagt, Kanada sei ein abnormales Land, dann hat er damit Recht“, amüsiert sich Fergus. Es gebe keine richtige Definition eines Kanadiers. Einerseits könne sich dieser Zustand sehr unbefriedigend anfühlen. Andererseits habe so aber jeder die Chance, Teil dieses Mosaiks zu werden. „Und genau dies ist die größte Stärke unseres Landes“, betont Fergus abschließend.

 

Iris Froeba, Policy Analyst und Media Officer, Transatlantisches Dialogprogramm, Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.